#29 Klimawandel: Warum Allergien zunehmen

Shownotes

Mit dem Frühling kommen auch Pollen und Heuschnupfen. Durch den Klimawandel beginnt die Pollensaison nicht nur früher, sie dauert auch länger. Gleichzeitig breiten sich neue Pflanzenarten aus, die weitere Allergien auslösen können. Martin Hoffmann spricht mit Dr. Michael Stölzle, Klimaexperte an der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg, darüber, wie sich das Klima in den kommenden Jahren verändern könnte und was das für Allergiker/-innen bedeutet. Zudem erklärt HNO-Arzt Dr. Andreas Horn, wie sich Allergie-Symptome kurzfristig lindern lassen und was eine Immuntherapie bewirkt.

Weitere Informationen: Mehr Infos über die Arbeit der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg findet ihr hier: https://www.lubw.baden-wuerttemberg.de/startseite

Wie eine Immuntherapie abläuft, könnt ihr in diesem AOK-Artikel nachlesen: https://www.aok.de/pk/magazin/koerper-psyche/haut-und-allergie/desensibilisierung-endlich-allergiefrei/

Neue Behandlungsansätze gegen Heuschnupfen stellt dieser AOK-Artikel vor: https://www.aok.de/pk/magazin/koerper-psyche/haut-und-allergie/diese-neuen-therapien-helfen-bei-heuschnupfen/

Artikel zu verschiedenen Allergien gibt es auf dieser AOK-Seite: https://www.aok.de/pk/allergien/

Wie sich der Klimawandel auf Allergien auswirkt, erfahrt ihr auf dieser Informationsseite des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit: https://www.klima-mensch-gesundheit.de/allergie-und-allergieschutz/allergien-und-klimawandel/

Wer einen Deep-Dive in die Welt der Allergien machen möchte, ist auf der Seite des Allergieinformationsdienstes richtig: https://www.allergieinformationsdienst.de/

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Transkript anzeigen

Intro: Unterwegs für die Gesundheit. GESUNDNAH – der Podcast der AOK Baden-Württemberg.

Martin Hoffmann: Hochwasser, Waldbrände, Hitzerekorde. Die Folgen des Klimawandels, die spüren wir alle. Wobei ich den Begriff Klimakrise für diese Katastrophe viel passender finde. Mit Wandel verbinde ich persönlich immer etwas Positives. 2024 überschritt die globale Durchschnittstemperatur erstmals die 1,5 Grad-Schwelle im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter. Im Januar 2025 kam dann direkt der nächste Rekord. 1,7 Grad Erderwärmung. Der wärmste jemals gemessene Januar und auch der März reiht sich ganz oben in der Rangliste ein. Die steigenden Temperaturen und die höhere CO2-Konzentration in der Luft haben aber auch ganz andere Auswirkungen, die ich zugegebenerweise so gar nicht auf dem Schirm hatte. Die Pollenbelastung steigt zum Beispiel extrem an und verstärkt so Allergien in ihrer Häufigkeit und Intensität. Gleichzeitig trägt der Klimawandel zur Luftverschmutzung bei. Zusammen mit Schadstoffen wie Stickoxiden und Dieselruß erhöht sich so das Allergierisiko weiter. Jetzt könnte man vielleicht denken, ja okay, Allergien, das ist nicht unser größtes Problem und ja, das stimmt vielleicht, nicht das Größte, aber es betrifft einfach extrem viele Menschen. Das Robert-Koch-Institut geht davon aus, dass in Deutschland mehr als 20% der Kinder und über 30% der Erwachsenen mindestens eine Allergie im Leben bekommen, also rund 12 Millionen Menschen. Ich bin Martin Hoffmann und in der heutigen Folge schaue ich mir den Zusammenhang zwischen Klimakrise und Allergie genauer an. Zuerst geht es für mich nach Karlsruhe, in die LUBW, der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg. Hier bin ich mit Dr. Michael Stölzle verabredet. Er arbeitet im Kompetenzzentrum Klimawandel und befasst sich mit den regionalen Ausmaßen und den Folgen des Klimawandels auf die Gesellschaft in Baden-Württemberg. In Heidelberg treffe ich dann im Anschluss Dr. Andreas Horn. Er ist HNO-Arzt und Allergologe, kennt sich zusätzlich im Bereich Umweltmedizin extrem gut aus und ist im Vorstand des Ärzteverbands Deutscher Allergologen. Ich bin jetzt in der Griesbachstraße 1 in Karlsruhe. Hier ist die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg. Die Namen vom Team, die habe ich vorher hergeschickt, damit die Pforte Bescheid weiß und wir rein können. Wir müssten also alle angemeldet sein. An der Pforten bin ich jetzt vorbei. Ich bin hier weitergeschickt worden, hoch in den sechsten Stock. Ich muss mal gucken, der Herr Stölzle wartet hier oben auf mich. Ich klingel mal ganz kurz. Da ist er schon. Hallo, Herr Stölzle hallo.

Dr. Michael Stölzle: Kommen Sie rein.

Martin Hoffmann: Hallo. Wo können wir hingehen?

Dr. Michael Stölzle: Da um die Ecke, da haben wir einen Raum.

Martin Hoffmann: Herr Stölzle: Wie hat sich das Klima in den letzten Jahren verändert?

Dr. Michael Stölzle: Wenn wir auf Baden-Württemberg gucken, kann man sagen, dass es deutlich wärmer geworden ist. Wir beobachten den Klimawandel jetzt schon über 140 Jahre, benutzen Daten vom Deutschen Wetterdienst zum Beispiel. Oder aus unserem Klimaatlas BW, den wir selber haben. Da sieht man eindeutig, dass eine Temperatursteigerung stattgefunden hat. Vor allem in dem Bereich ab den 60er-, 70er-Jahren. Da gab es noch mal eine stärkere Steigerung der Temperatur. Und wir sind jetzt eigentlich schon bei über zwei, zweieinhalb Grad, wenn wir so die vorindustrielle Zeit betrachten.

Martin Hoffmann: Welche Trends lassen sich da jetzt schon erkennen, wenn wir jetzt in den letzten 60, 70 Jahren schon mal diesen Anstieg hatten? Wo geht's hin perspektivisch?

Dr. Michael Stölzle: Wenn wir jetzt so die Dinge für die Zukunft betrachten wie Klimamodelle, dann ist schon eindeutig, dass wenn kein aktiver oder stärkerer Klimaschutz betrieben wird global, dass diese Tendenz sich fortsetzen wird. Das kann man heute schon sagen.

Martin Hoffmann: Jetzt haben wir immer häufiger mit diesen extremen Wetterereignissen zu tun. Sind die eigentlich dann alle auf die erhöhte Temperatur zurückzuführen? Oder gibt es da noch andere Faktoren, die da mit reinspielen?

Dr. Michael Stölzle: Also das ist sehr komplex, aber zum großen Teil ist es, auf die erhöhte Temperatur zurückzuführen. Stellen Sie sich einfach vor, dass wir eine höhere Dynamik in der Atmosphäre haben durch diesen Energieeintrag. Und ein wesentlicher Punkt ist auch, dass eben wärmere Luft mehr Wasser halten kann. Also man sagt ja, sieben Prozent mehr Wasserdampf kann pro Grad Temperaturerhöhung gehalten werden. Und dieser erhöhte Wassergehalt führt natürlich dazu, weil Sie extremere Ereignisse angesprochen haben, dass wir zum Beispiel davon ausgehen, dass wir auch in Zukunft mehr Starkregenereignisse haben werden. Die dann intensiver auftreten können und auch größeres Schadenspotenzial haben. Auf der anderen Seite haben wir natürlich auch das Phänomen, das haben wir in den letzten Jahren auch schon gesehen, dass es auch längere Dürren- und Trockenperioden geben kann, wo es dann eben keinen Niederschlag gibt. Jetzt gerade ist ja auch so eine Phase, wo wir seit Februar oder März schon relativ wenig Niederschläge zum Beispiel in Baden-Württemberg haben, wo jetzt noch nicht in der Dürresituation sind, aber wo man die Lage auf jeden Fall beobachtet. Ein Beispiel ist vielleicht auch der Wasserstand im Bodensee, der jetzt gerade durch die Medien ging. Dass der sehr tief ist, außergewöhnlich tief, weil zum Beispiel eben aus den Alpen die Schneeschmelze fehlt oder eben auch Niederschläge aus den Einzugsgebieten, die den Bodensee speisen.

Martin Hoffmann: Jetzt habe ich auch bei der Recherche was gelesen. Sickerasphalt zum Beispiel gibt es ja auch. Es gibt ja Möglichkeiten, wie dann trotzdem, ich sage jetzt mal, Wasser auch abfließen kann. Warum wird sowas nicht großflächig verbaut? Macht das ökologisch oder ökonomisch keinen Sinn oder?

Dr. Michael Stölzle: Ich denke da spielen zwei Dinge rein. Ich weiß nicht, ob das allen bekannt ist, dass es auch schon solche Maßnahmen und Möglichkeiten für diese blau-grüne Infrastruktur gibt, eben Sickerasphalt, wie Sie es ansprechen, oder eben Entsiedlung. Zum zweiten ist es halt auch immer mit Kosten verbunden. Also man muss da schon viel Geld in die Hand nehmen oder braucht eine Förderung, um diese Maßnahmen auch umzusetzen. Freiburg und Stuttgart, die sind da sicherlich Vorreiter, weil die das Thema schon länger umtreibt. Die haben meistens auch schon eine Anpassungsstrategie oder einen Hitze-Aktionsplan, solche Städte, wo sie sich eben mit diesen Themen auseinandergesetzt haben. Bei kleineren Städten ist das Thema erst auch neu auf die Agenda gekommen. Aber es gibt einen großen Maßnahmenkanon, den man eigentlich ergreifen kann. Schlussendlich geht es darum, also ein zentraler Aspekt ist wirklich, das Wasser in der Stadt zu halten, also dezentral zu versickern, das Wasser nicht schnell loszuwerden. Das war ja lange auch ein Paradigma in der Stadplanung, dass wir bei starken Regenfällen das Wasser schnell abführen wollten in die Kanalisation, um eben keine Überflutungen herbeizuführen und so weiter. Aber mittlerweile ist es eigentlich so, dass wir stärker in die Richtung von urbanen Wasser-Ressourcen-Management denken und eben ganz klar sagen, das Wasser sollte länger im Kreislauf bestehen bleiben in den Einzugsgebieten, in den Städten und dort eben versickert werden. Also ganz konkret würde das bedeuten, man hat einen klassischen Parkplatz, der asphaltiert ist, man könnte überlegen, könnte man diesen Parkplatz umgestalten mit anderen Untergründen, die das Wasser besser versickern oder vielleicht auch eine Verdunstungsleistung herstellen. Oder könnte man diesen Parkplatz sozusagen auch zurückbauen und da eine Grünfläche, eine Rigole entwickeln oder einen neuen Stadtbaum pflanzen. Das sind alles Themen, die im Bereich der Klimaanpassung viele Leute in Baden-Württemberg gerade umtreiben. Man muss auch ganz klar sagen, wir kommen ja eigentlich aus so einer Zeit des Klimaschutzes. Also Klimaschutz war oder ist zum Glück auch noch in aller Munde und wird weiter vorangetrieben. Es ist klar, der Klimawandel ist ein globales Phänomen und auch in Baden-Württemberg betreiben wir ja aktiven Klimaschutz. Aber neu dazugekommen ist in den letzten Jahren oder letzten Jahrzehnten eben die Klimaanpassung. Da geht es ja wirklich darum, dass man sich an die Folgen des Klimawandels anpasst. Das hat jetzt erstmal nicht so viel mit Schutz zu tun. Also man kann auch Klimaanpasungsmaßnahmen machen, die einen Klimaschutzeffekt haben, weil sie eben CO2-Ausstoß reduzieren. Aber eigentlich geht es darum, genau diese Folgen, von denen wir jetzt gerade in den letzten Minuten gesprochen haben, dass man die entweder mindert oder sogar ganz umgehen kann, dass man diese Effekte des Klimawandels, diese Wirkung eben nicht mehr hat. Und diese beiden Dinge sollte man möglichst in den nächsten Jahren stark zusammendenken, Klimaschutz und Klimaanpassung.

Martin Hoffmann: Wie würden Sie denn sagen, gibt es Auswirkungen auf die Luftqualität durch den Klimawandel?

Dr. Michael Stölzle: Also wenn wir jetzt mal davon ausgehen, dass sozusagen die Ist-Lage gleich bleibt, dass sie die gleiche Verkehrslage und den gleichen Stickstoffausstoß haben, dann kann es schon passieren, dass im Zuge des Klimawandels zum Beispiel durch mehr Hitzewellen, also höhere Temperaturen, durch austauscharmere Situationen, also stellen Sie sich einfach eine Phase im Juni oder Juli in Stuttgart vor, wo wenig Wind herrscht zum Beispiel, dass durch diese Situation auch in ihrem Zusammenwirken die Luftqualität weiter verschlechtert wird oder nicht besser wird, weil jetzt zum Beispiel Feinstaub und andere Belastungsstoffe in der Luft nicht mehr abtransportiert werden können. Gerade wenn wir auch über so Dinge sprechen wie ja, Pollen oder Allergien, ist es ja auch bekannt, dass dann eben so ein Regenschauer oder eine lange Regenphase mal ganz gut tun kann, weil das die Pollen wieder aus der Atmosphäre und von den Oberflächen abwäscht und eben diese Allergenität auch ein bisschen reduzieren kann. Und wenn wir jetzt in dem Kontext annehmen, dass eben solche Extrema wie Trockenperioden, heiße Phasen in der Zukunft zunehmen, dann hätte das auch einen starken Einfluss auf Dinge wie die Luftqualität.

Martin Hoffmann: Wenn Sie gerade Pollen ansprechen, inwiefern verändert sich so eine Pollensaison durch gesteigerte Temperaturen, also durch den Klimawandel?

Dr. Michael Stölzle: Ja, das hängt auch sehr stark mit der Temperaturerhöhung zusammen. Also was wir in Baden-Württemberg klar sehen, ist, dass sich die Vegetationsperiode verlängert und ausweitet. Sie beginnt früher und endet später und das bietet natürlich auch Nährboden für viele Pflanzen, Bäume, für die Vegetation sozusagen auch früher mit der Blütenbildung und mit der Pollenproduktion zu beginnen. Und zudem sehen wir auch, dass durch die erhöhte Wärme und auch den erhöhten CO2-Eintrag in die Atmosphäre die Pflanzen auch befähigt sind, mehr Pollen zu produzieren. Was sich natürlich dann im Effekt, wenn man jetzt über Allergien spricht, noch mal verstärken kann. Dann diese windarmen Situationen, die fördern natürlich dann auch, dass diese Pollen nicht abtransportiert werden. Auf der anderen Seite, wenn wir davon ausgehen, dass vielleicht Extreme zunehmen zukünftig, könnte es auch sein, dass wir mehr Stürme in dieser Vegetationsperiode haben oder mehr windreiche Situationen und Pollen über größere Distanzen transportiert werden können. Vielleicht auch in Höhenlagen oder Regionen, wo sie im Augenblick noch nicht typisch sind, weil es dort diese Vegetation oder diese Bäume gar nicht gibt.

Martin Hoffmann: Das heißt wo man eigentlich noch gar keinen Stress, ich sag es mal, mit mit Pollen oder so was hat, mit Allergien hat, kann es jetzt sein, dass irgendwie, ich sage es mal in den Hochlagen des Schwarzwaldes, dass man dann auf einmal einen Allergieschub oder so etwas bekommen könnte.

Dr. Michael Stölzle: Also wenn sie davon ausgehen, dass Arten eben auch, weil sie sozusagen vor der Wärme flüchten, nach oben wandern, also dass man so ein Gradient nach oben sieht, dann kann man jetzt vielleicht nicht im Jahresrhythmus, aber im Jahrzehnterhythmus schon davon ausgeben, dass sich neue Arten, neue Vegetation dort ansiedeln wird. Und wenn die natürlich eine gewisse Allergenität haben, dann sind die Personen auch vor Ort dann in höheren Lagen davon betroffen. Dann kann man schon von ausgehen.

Martin Hoffmann: Jetzt habe ich immer wieder gelesen von inversiven Tierarten zum Beispiel, also in Kehl ist es glaube ich mit Ameisen gerade, die da irgendwie sehr inversiv unterwegs sind. Wie ist das denn mit Pflanzen auch in Bezug auf Pollen? Kann es auch sein, dass jetzt durch den Klimawandel, durch die gestiegenen Temperaturen oder die weiter steigenden Temperature, Arten hierher kommen, die ganz andere Allergie auch nochmal auslösen können?

Dr. Michael Stölzle: Ja, das kann gut sein. Also was man da zum Beispiel betrachten kann, ist einfach die, ja, den Pollenflugkalender. Der könnte sich durch solche Arten zum Beispiel erweitern. Wenn man jetzt davon ausgeht, dass wir, ja bei heimischen Arten beginnt der Pollenflug manchmal bei der Hasel schon im Dezember oder Januar, ist natürlich dann das ganze Jahr eine hohe Belastung für die Allergiker. Dann beginnt die Gräsersaison. Und wenn man da am Ende jetzt im Prinzip noch invasive Arten hat, die diese Pollensaison erweitern würden, wieder bis Oktober oder November hätte man eigentlich ganzjährig oder hat man ganzjährigt mittlerweile dadurch eine Belastung, was die Pollen angeht, was vielleicht früher nicht so stark der Fall war.

Martin Hoffmann: Wie wird sich das Klima in den nächsten zehn Jahren verändern? Wenn wir in zehn Jahren wieder hier sitzen, sind wir dann über zwei, über drei Grad. Was könnte dann sein?

Dr. Michael Stölzle: Also dafür betrachten wir einfach Klimamodelle, die gewisse Annahmen natürlich treffen müssen, aber die meiner Meinung nach schon sehr solide, gerade im Bereich der Temperatur, vorhersagen können, wo wir landen werden. Global gehen viele dieser Klimamodelle davon aus, dass wir im Augenblick, so wie wir CO2 ausstoßen global, bei etwa 3 Grad landen, werden am Ende vom Jahrhundert. Für Baden-Württemberg würde das dann ja sowas wie 4 Grad bedeuten. Also im Vergleich zu vorindustriell. Bei diesen Modellen muss man aber ganz klar auch sagen, die berücksichtigen unterschiedliche Szenarien. Das haben Sie bestimmt auch schon gehört. Also wie werden wir zukünftig leben und welche Menge an CO2 werden wir ausstoßen? Und da gibt es im Prinzip alle Szenaria von einem weiter so wie bisher bis hin zu einem Szenario, was sich sehr gut mit dem 1,5 oder 2 Grad Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen decken lässt. Und dazwischen haben Sie die ganze Bandbreite an Entwicklungen, die wir jetzt im Augenblick auch nicht vorhersagen können in dem Sinne, weil das natürlich sehr stark davon abhängt, wie global und auch national Klimaschutz ergriffen wird.

Martin Hoffmann: Was bedeutet denn konkret 3 bis 4 Grad in Baden-Württemberg?

Dr. Michael Stölzle: Also wir sehen ja jetzt schon bei einem globalen Temperaturanstieg von ungefähr 1,5 Grad, der in Baden-Württemberg, sagen wir mal bei 2 oder 2,5 Grad landet, unglaublich viele Effekte, auch negative Folgen des Klimawandels, die uns tagtäglich und jedes Jahr aufs Neue umtreiben. Denken Sie an, ja, Hitzesommer in Baden-Württemberg, an lange Dürrephasen, Druck auf die Wälder, auf die Landwirtschaft, auch auf die Wasserversorgung, auf den Bodensee, auf unsere Ökosysteme. Und jetzt stellen Sie sich einfach vor, dass wir mehrere von diesen Extremjahren vielleicht hintereinander haben, um den Effekt sich so ein bisschen vorstellen zu können, dass Dürren vielleicht auch länger dauern, dass wir eine schnellere Abfolge haben werden zukünftig zwischen einem Starkregen vor Ort, einer sehr trockenen Phase. Einem Spätfrost und vielleicht heißen Tagen im April. Das ist ja das, was uns erwartet. Also auch eine höhere Dynamik in den Ereignissen, die auf uns zukommen wird. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie das Wetter in zehn Jahren wird oder die Witterung oder was wir für einen Sommer haben werden. Und wir denken auch immer sehr stark auf längeren klimatischen Zeiträume. Also wir betrachten eigentlich immer 30 Jahre, vielleicht mal kürzere Perioden. Also der Weltklimarat betrachtet auch 20 Jahre. Aber man muss schon längere Zeiträumen betracht um auch fundierte Aussagen machen zu können. Weil es kann auch gut sein, dass dieses Jahr kein neues Rekordjahr, was die Temperatur angeht, wird. Ist wahrscheinlich nicht so wahrscheinlich, aber könnte passieren. Es könnte auch mal wieder einen schneereichen Winter geben in Baden-Württemberg oder einen verregneten Sommer, wie wir ihn letztes Jahr hatten. Also das ist schon sehr vielfältig, was da an Zukünften auf uns zukommt. Deswegen muss man immer längere Zeitabschnitte auch betrachten, um gute Aussagen machen zu können.

Martin Hoffmann: Und jetzt noch zum Abschluss. Haben Sie eigentlich eine Allergie?

Dr. Michael Stölzle: Tatsächlich, ja.

Martin Hoffmann: Was ist es bei Ihnen?

Dr. Michael Stölzle: Also Hasel und Birke treibt mich so ein bisschen um. Es ist auch im Augenblick so, dass ich immer Augentropfen dabei habe, weil ich gereizte Augen habe. Deswegen kann ich diese ganze Thematik Klimawandel und Allergien auch sehr gut nachvollziehen. Ich glaube, das treibt viele Leute um. Wir wissen ja, dass tatsächlich viele Personen in Baden-Württemberg mit irgendeiner Allergie oder mit einer Pollenallergie zu kämpfen haben. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen sind auch betroffen.

Martin Hoffmann: Herr Stölzle, vielen, vielen Dank. Unglaublich spannend. Es ist ein Thema, was uns sehr, sehr lange noch beschäftigen wird. Danke Ihnen.

Dr. Michael Stölzle: Danke auch.

Martin Hoffmann: In den nächsten Jahren wird also noch einiges auf uns zukommen und ich bin gespannt, was man dagegen tun kann. Immerhin betrifft es wirklich sehr viele Menschen und wenn sich das Klima weiter so schnell erwärmt, dann werden es wahrscheinlich eher mehr als weniger werden. Was ich mich jetzt frage, werden die Pollen nur mehr oder werden sie vielleicht auch aggressiver werden? Also verändern sie sich durch den Klimawandel? Das will ich mit Dr. Andreas Horn klären. Er ist HNO-Arzt in Heidelberg und Allergie-Experte. So, ich bin jetzt gerade in Heidelberg angekommen, in der Uferstraße 8a, direkt an der Neckarwiese. Und von hier hat man wirklich einen wunderschönen Blick auf das Schloss. Und passend zum Thema blüht auch gerade alles. Ein wahrer Albtraum für alle mit Pollenallergie. HNO am Neckar, so hier bin ich richtig. Mal gucken, hier ist die Klingel, ich klingel mal kurz. Tür auf, so hallo, hallo Herr Doktor Horn, hallo. So, hallo nochmal.

Dr. Andreas Horn: Grüße Sie. hallo.

Martin Hoffmann: Herr Doktor Horn, was genau ist eigentlich eine Allergie?

Dr. Andreas Horn: Eine Allergie ist eine Überempfindlichkeit oder auch eine Fehlregulation des Immunsystems. Das heißt, das Immunsystem reagiert mit Stoffen, mit denen es eigentlich nicht reagieren sollte. Also ganz natürlich vorkommende Stoffe. Eine These ist, dass in der Kindheit oft die Kinder sich nicht im Dreck gesuhlt haben, mal so sagen, dass sie nicht mit Dreck in Kontakt gekommen sind, die Hygiene sehr hoch gehalten worden ist und dadurch das Immunsystem sich was anderes gesucht hat, mit dem es dann agieren kann.

Martin Hoffmann: Also ganz klassisch, auf dem Spielplatz schön Sandkuchen essen auch wirklich, das ist gar nicht so verkehrt.

Dr. Andreas Horn: Es gibt ja die Bauernhoftheorie, dass Kinder, die auf dem Bauernhof aufgewachsen sind, sehr viel weniger Allergien haben als Kinder, die in der Stadt aufgewachsene sind.

Martin Hoffmann: Wie unterscheiden sich Allergien zu Unverträglichkeiten?

Dr. Andreas Horn: Das ist ein ganz anderes Prinzip. Das eine ist die Fehlfunktion oder Fehlregulation im Immunsystem. Die Unvertäglichkeiten, das sind oft Enzymdefekte. Bestes Beispiel ist die Laktoseintoleranz, die Fructoseintolerenz. Es gibt aber auch andere chronische Darmerkrankungen, die, wenn sie mit entsprechenden Kohlenhydraten in Kontakt kommen, zu Blähungen, Durchfall, Magenkrämpfen etc. Führen. Also ein ganz anderes Prinzip im Körper.

Martin Hoffmann: Also gar keine Abstufung, sondern was komplett anderes. In welchem Alter entwickeln sich denn eigentlich Allergien?

Dr. Andreas Horn: In jedem Alter können sich Allergien entwickeln. Wir haben im Kindesalter meistens so Hauterkrankungen, auch die Nahrungsmittelallergie. Bestes Beispiel ist die Erdnussallegie oder Erdnussölallergie, unter der Kinder leiden können. Und atopische Erkrankung, sprich Hauterkrankungen, Ekzeme, die die Kinder entwickeln, dann lässt das nach und dann kommt in aller Regel in der nächsten Altersstufe, also so bei den Jugendlichen, kommen dann der klassische Heuschnupfen, also die Polynosis, die wir haben, später auch das Asthma. Aber im Prinzip kann sich in jeder Altersgruppe eine Allergie entwickeln. Wir haben früher gesagt, dass der Heuschnupfen, die allergische Renitis, eigentlich eine Erkrankung im jungen Erwachsenenalter ist und da entsprechend auch behandelt wird mit einer speziellen Immuntherapie. In der Zwischenzeit sehen wir das auch bei älteren Leuten. Es kommen Patienten zu uns in der Praxis, die sind 60, 65, 70 und haben das erste Mal in ihrem Leben ein Heuschnupfen.

Martin Hoffmann: Wie entwickelt sich denn diese Allergie? Was passiert da genau im Körper?

Dr. Andreas Horn: Ja, das ist eine entzündliche Reaktion im Körper. Das Immunsystem reagiert auf Stoffe, die in den Körper eindringen, mit einer Abwehrreaktion. Also wie wenn ein Bakterium, ein Virus kommt, dann werden entsprechende Zellen aktiviert. Das sind die Mastzellen, die lassen ein Enzym frei, das das Histamin. Und das macht dann diese ganzen Reaktionen von Nasenlaufen, Augentränen bis hin zum Asthmaanfall.

Martin Hoffmann: Und wann ist so das Stadium erreicht, wann eine Allergie wirklich gefährlich werden kann? Weil zum Beispiel Nahrungsmittel, wenn man da allergisch ist, lässt man es weg und dann geht es vielleicht noch, oder?

Dr. Andreas Horn: Nein, das können Sie so nicht sagen. Gerade bei der Erdnussallergie ist es ja so, dass kleinste Spuren eine Allergie auslösen können. Es gibt zum Beispiel Airlines in Amerika, die keine Nüsse mehr anbieten während dem Flug. Weil kleinste Mengen von Erdnüssen können bei dem Patienten, der hinten dransitzt, eine Reihe oder eine Reihe vorne dransitzt, können zu einer allergischen Reaktion zum Asthmaanfall führen. Bei dem Heuschnupfen ist es eigentlich eine Rarität, dass da wirklich eine starke Reaktionen kommt. Auch die Nahrungsmittel sind dafür bekannt oder Bienen-Wespen-Gift-Allergiker. Da kann es natürlich auch zu einer starken Reaktions kommen. Wir sprechen da von einer anaphylaktischen Reaktion, sprich Kreislaufabfall, Allgemeinsymptome, Bauchkrämpfe bis hin zum Schock.

Martin Hoffmann: Jetzt haben Sie den Heuschnupfen gerade angesprochen. Warum, das habe ich in der Recherche gelesen, dass die Zahlen da eigentlich immer weiter nach oben gehen. Warum reagieren immer mehr Menschen allergisch auf Pollen?

Dr. Andreas Horn: Viele Ursachen. Zum einen müssen wir durch den Klimawandel bedenken, dass es immer mehr Pollen gibt. Also die Blütezeit wird länger, die Belastung an Pollen wird stärker. Dann durch Umweltfaktoren werden die Pollen auch aggressiver. Und beide Komponenten zusammen, also längere Zeit, aber auch aggressivere Pollen führen dazu, dass die Patienten natürlich mehr Beschwerden haben.

Martin Hoffmann: Was heißt aggressivere Pollen?

Dr. Andreas Horn: Ja, also man vermutet heutzutage, gibt es auch schon gute Studien darüber, dass sich an den Pollen beispielsweise Schwebstoffe anlagern, Rußpartikel anlageren und dadurch werden die aggressiver insofern, dass sie die Schleimhaut mehr schädigen können.

Martin Hoffmann: Also die Zeit in der Pollen dann zum Beispiel oder die Blüte da ist und die wird länger. Die Pollen werden aggressiver, die die da sind. Gibt's auch, ich sag jetzt mal, ich hab vorhin mit dem Herr Stölzle über inversive Arten auch gesprochen zum Beispiel.

Dr. Andreas Horn: Das ist ein Riesenproblem, gerade bei uns hier im oberrheinischen Graben, Ambrosia-Gewächse. Hochallergene Pflanzen, die jetzt über den Klimawechsel bei uns reinkommen. Wir haben ja eh ein warmes Klima hier in Heidelberg oder am Rheingraben entlang. Aber das nimmt deutlich zu Ambrosia-Gewächse, Beifuß-Gewächse die dann zu allergischen Reaktionen führen.

Martin Hoffmann: Generell, welche Pflanzenarten verändern sich denn da gerade? Wo muss man jetzt noch mal einen größeren Augenmerk drauflegen?

Dr. Andreas Horn: Wir haben Pflanzen, die eben einwandern bei uns in Mitteleuropa, die aus dem Süden kommen. Also beispielsweise auch Olivenbäume, die früher bei uns nicht heimisch waren oder wenig heimisch waren. Die können einwanderen, Zypressen können einwandern. Also Allergene, die eigentlich im Süden beheimatet sind, die jetzt einwachsen zu uns.

Martin Hoffmann: Verändert sich dann zum Beispiel jetzt auch durch den Klimawandel, durch die erhöhte Temperatur, vielleicht auch die Birke, dass mehrere Leute davon betroffen werden könnten oder ist das nicht so ein Thema?

Dr. Andreas Horn: Der Klimawandel führt nicht dazu, dass mehr Leute eine Allergie haben. Das ist unsere Lebensweise, die wir haben. Ich hatte es ja vorhin gesagt, der Hygienefaktor ist sicher ein ganz, ganz wichtiger Punkt. Sondern der Klimawandel führt einfach dazu, dass die Pollenzeit sehr viel länger wird. Wir haben beispielsweise in Heidelberg... wenn Patienten mit einer ganzjährigen Allergie kommt, da denkt man ja eigentlich an Schimmelpilze, an Tierepithelin, an Hausstaubmilben, die das ganze Jahr über vorkommen bei uns in Heidelberg oder in der Gegend hier, wenn wir ein sehr warmes Klima haben, fängt aber schon die Hasel oft im Dezember an zu blühen, dann geht es über die Frühblüher-Bäume-Gruppe, also Birke, Erle-Hasel zur Esche hin, dann kommen die Gräser, dann die Kräuter. Das heißt, der einzige allergiefreie Monat, den wir haben, ist ungefähr der November, wenn wir Glück haben. Das war früher nicht der Fall. Die frühblühenden Bäume, also die Birkengruppe, die haben irgendwann im Februar, März angefangen bis zum Mai. Dann kamen die Gräsern, dann war irgendwann auch mal Schluss. Jetzt haben wir das ganzjährige Problem.

Martin Hoffmann: Was macht das mit Patientinnen, mit Patienten, die, ich sage es mal, diese Ruhephase, wenn jetzt wirklich nur noch der November ist, dass sich der Körper gar nicht mehr so richtig erholen kann? Was macht es mit denen?

Dr. Andreas Horn: Na gut, das hat natürlich enorme Auswirkungen auf den Körper, wenn ständig das Immunsystem aktiv ist mit irgendwas, wo sie es nicht beschäftigen soll. Die Patienten haben Konzentrationsprobleme, sind nicht mehr so leistungsfähig, der Schlaf ist schlecht. Bei Kindern beispielsweise, das ist mir immer ein Herzensanliegen, dass wir auch frühzeitig mit der Behandlung beginnen. Bei Kindern kann es so sein, dass die auch in den Schulnoten abfallen. Da gibt es eine gute Untersuchung einer australischen Untersuchungsgruppe. Und auch bestätigt von Engländern. Dazu muss man das Schulsystem kennen in England und damit auch in Australien. Die Kinder schreiben im Herbst und im Frühjahr die Prüfung zum gleichen Thema. Also nicht die gleiche Prüfungen, das ist klar, aber zum gleichen Thema. Und wenn man Herbst- und Frühjahre vergleicht bei allergischen Patienten oder allergischen Kinder, dann sieht man, dass die Prüfungsnoten um eine Note herabfallen im Schnitt.

Martin Hoffmann: Okay, Wahnsinn.

Dr. Andreas Horn: Weil die Allergie eben dazu führt, entweder wenn die Kinder falsch behandelt werden, sprich mit Antihistaminika, die gerade müde machen, dann sind sie von der Konzentration natürlich schlechter oder aber, wenn sie nicht behandelt sind und ihre allergischen Beschwerden haben, dann schlafen sie nachts nicht gut. Und damit eben auch den Effekt. Und darum ist es ganz wichtig, dass wir eben bei den Kindern frühzeitig anfangen zu behandeln.

Martin Hoffmann: Welche Rolle spielen denn dann andere Erkrankungen? Ich sag es mal, wenn das Immunsystem permanent das ganze Jahr über beschäftigt ist, eigentlich gegen diese Allergie irgendwie anzugehen, dann ist das ja eigentlich eine Tür und Tor geöffnet, für alles andere?

Dr. Andreas Horn: Ja klar. Allergiker sind natürlich auch Patienten, die häufiger Infekte haben. Also bestes Beispiel auch hier die Hausstaubmilbenallergiker, die das ganze Jahr eben ihre allergischen Beschwerden haben. Die sind infektanfälliger. Die Patienten kommen, ich will jetzt nicht auf die Hausärzte schimpfen, Gottes Willen, aber die kommen oft, das ist unsere Erfahrung, mehrere Jahre im Herbst, im Winter zu ihrem Hausarzt, zu ihrem praktischen ArztAuf jeden Fall. Mit einem Infekt und bekommen dann ein Antibiotikum oder Ähnliches verschrieben, dann geht der Infekt natürlich kurzzeitig weg, aber Sie bekommen ihn wieder. Diese Patienten gehören eigentlich zum Allergologen, dass man nachschaut, ob da nicht prinzipiell eine ganzjährige Allergie dahinter steht, die man behandeln kann, um das Immunsystem wieder zu stabilisieren.

Martin Hoffmann: Hilft dann sowas, ich sag jetzt mal, gesunder Lebensstil, gesunde Ernährung, um das Immunsystem stabil zu halten, hilft wahrscheinlich dann.

Dr. Andreas Horn: Auf jeden Fall. Gesunde Ernährung. Ganz, ganz wichtig, auch Stress vermeiden. Stress ist auch ein Faktor, der bei Allergien zu einer Prokretenz führen kann, also Allergiene verstärken kann. Was kann ich tun, um mich vor so einem Allergieschub zu schützen? Nach Möglichkeit indoor aufhalten, beziehungsweise dann nach draußen gehen, wenn die Pollenbelastung geringer ist, in aller Regel ist das dann abends der Fall, aber das kommt auch immer wieder drauf an, wie die Wetterlage ist. Also man muss natürlich die Pollenkonzentration schauen, wenn sie niedrig ist, dann kann man rausgehen. Ansonsten sollte man natürlich vorab, wenn man merkt, jetzt fängt es langsam an, prophylaktische Maßnahmen machen. Also konsequent beispielsweise ein Antiallergikum nehmen, das muss jetzt nicht gleich eine Tablette sein, ein Antihistaminikum, sondern es gibt heutzutage Corticosteroide, wenn man Nasenbeschwerden hat. Das ist zwar ein synthetisches Cortison, aber lokal angewandt brauchen wir da jetzt insofern keine Sorgen vor Nebenwirkung zu haben und das konsequent angewandt, das macht eine Entzündungshemmung und schützt eben, dass die Allergie in der Nase ihr Unwesen treibt. Bitte keine abschwellenden Nasensprays, die man auch so in der Apotheke bekommt, weil das die Schleimhäute erst recht kaputt macht.

Martin Hoffmann: Jetzt habe ich zum Beispiel Immunisierung ganz oft gelesen. Wie funktioniert das?

Dr. Andreas Horn: Also die Immunisierung oder früher hat man Hyposensibilisierung gesagt. Wir sagen heute spezifische Immuntherapie dazu. Das ist auch verdeutlicht, dass wir im Immunsystem etwas verändern. Das ist eigentlich heute der Goldstandard. Das ist die einzige, muss man sagen, kausale Therapie, die wir haben. Alles andere, Nasensprays, Antihistaminika, Tabletten und so weiter, ist ja nur eine symptomatische Therapie. Die spezifische Immuntherapie wirkt kausal. Das heißt, man versucht ... Das Immunsystem wieder in geordnete Bahnen zu bringen. Das macht man, indem man es mit einer gleichen Dosis eines Allergens, also auf das der Patient reagiert, immer wieder in Kontakt setzt. Und der Körper, das Immunsystem, entwickelt dann eine Toleranz. Es kommt also nicht mehr zur allergischen Reaktion, zur Überreaktion sondern zur Toleranzentwicklung. Und das sollte man machen, A aus Gründen, dass man keine Neusensibilisierung bekommt. Und B ganz wichtig, natürlich für den Patienten, dass die Symptome besser werden, aber für uns ganz wichtig ist, dass wir Asthma verhindern. Das ist ja das Problem immer bei Patienten. Hausstaubmilbenallergiker beispielsweise haben ein Risiko von 40 bis 50 Prozent im Laufe des Lebens, ein Asthma zu entwickeln. Das kann man damit verhindert.

Martin Hoffmann: Also sehr hoch, muss man sagen. 50 Prozent, also in der Hälfte aller Fälle passiert ist. Wie lange dauert denn so eine Therapie, die ich da mache?

Dr. Andreas Horn: Unterschiedlich. Die Leitlinien empfehlen drei Jahre bei der Pollenallergie, bei der Hausstaubmilbenallergie sagt man eher vier Jahre. Aber letztendlich, jetzt gehen wir in die Schulzeit zurück, in die tiefe Mathematik, kennen Sie alle, die gaussische Verteilungskurve, diese berühmte. Die meisten Patienten im Mittel haben nach drei Jahren ihr Ziel erreicht. Manche Patienten früher, manche Patienten später. Das heißt, man muss die Patienten auch wirklich dann monitorieren, immer wieder fragen nach der Saison, wie war es denn? Man sieht die Entwicklung und kann dann als Arzt entscheiden, machen wir 3 Jahre, machen wir 4 oder im Extremfall auch mal 5 Jahre, bis sich das stabilisiert hat. Und das Schöne ist heutzutage, man hat zwei Applikationsformen, die man anwenden kann. Das eine ist eine Spritzentherapie. Das andere ist eine sublinguale Therapie mit Tropfen oder mit Tabletten, die der Patient zu Hause machen kann.

Martin Hoffmann: Bei den Spritzen, wie oft muss man das machen? Also muss ich dann wöchentlich oder monatlich oder...?

Dr. Andreas Horn: Das kommt auf das Präperat an. Es gibt eigentlich zwei Regime, die man heutzutage machen kann. Das eine ist eine präsessionale Therapie, das andere ist eine ganzjährige Therapie. Präsessional, das heißt, man macht diese Spritzen vor der Saison. Man muss da meistens so vier Monate vorher anfangen. Bei der ganzjährigen Therapie macht man es ganzjährig. Ich bin ein Freund, ein Verfechter der ganzjährigen Therapie, weil es bei der kurzzeitigen Therapie zwar durchaus Effekte gibt, dass die Symptome besser werden, aber es gibt keinen Beweis einer Langzeittherapie oder dass die Effekten lange Zeit anhalten, wie das bei der ganzjährigen Therapie ist, da haben wir meistens so zehn Jahre dann eine Beschwerdefreiheit. Am Anfang muss man aufdossieren, das heißt wir nähern uns langsam der Erhaltungsdosis in wöchentlichen Abständen. Das kommt aufs Präparat an. Manchmal brauchen wir fünf Spritzen, manchmal brauchen wir sieben, acht Spritze, auch wie es der Patient verträgt. Und wenn man dann in der Erhalungsdosis ist, auch das präparateabhängig, alle vier bis acht Wochen dann die Spritze.

Martin Hoffmann: Und wie ist das, wenn wir jetzt über eine Zeitspanne von, ich sag es mal, drei bis fünf Jahren einfach mal so sprechen, habe ich dann permanent, auch wenn es leichte Symptome sind, aber habe ich permanent dann Symptomen oder merke ich gar nichts?

Dr. Andreas Horn: Am Anfang schon, gerade bei der Tablettentherapie, dauert es meistens so 2, 3 Wochen, bis der Körper eine gewisse Toleranz entwickelt hat. Am Anfang kann es zu einer Schwellung unter der Zunge kommen. Kann es zu einem Juckreiz im Hals kommen. Aber da gewöhnt sich dann der Körper mit der Zeit dran. Nach 2 bis 3 Wochen ist es nicht mehr vorhanden. Bei der Spritze kann es an der Einstichstelle zu einem Juckreiz kommen, kann es zur Schwellungen kommen, zu einer Rötung, aber auch da entwickelt sich langsam aber sicher eine Toleranz.

Martin Hoffmann: Wenn ich jetzt eine Allergie habe, wie kann ich die behandeln? Dann werden wahrscheinlich nur die Symptome behandelt. Aber was kann ich da machen?

Dr. Andreas Horn: Das Antihistaminikum, also eine Tablettentherapie, das ist die medikamentöse Therapie, die wir haben. Natürlich gibt es dann auch aus dem Bereich der Naturheilverfahren Möglichkeiten, also, wo man auch sehr gute Erfahrungen hat, ist beispielsweise mit der Akupunktur, aber auch das ist nur eine kurzzeitige symptomatische Therapie. Und ansonsten, was natürlich immer hilft, wenn man weiß, ich habe mal eine Birkenpollenallergie, um bei dem Beispiel zu bleiben, die in Deutschland halt um die Osterzeit ihr Unwesen treibt, Ja, ich kann dann in der Zeit auch irgendwo anders hinfahren, wo es eben keine entsprechende Pollenbelastung gibt. Was sehr hilfreich ist, ist beispielsweise auch, wenn man starke Pollenbeschwerden hat, dass man in der Zeit auch ans Meer fährt. Einmal durch die Meerluft, das ist ja eine salzhaltige Luft, wird die Schleimhaut gepflegt, die Nasenschleimhaut gepflegt und gleichzeitig hat man oft einen Wind, der vom Meer kommt, der einfach keine Pollen mitbringt.

Martin Hoffmann: Beispiel, wir sitzen in zehn Jahren wieder hier und wir reden wieder über das Thema Allergien. Wo stehen wir dann bei dem Thema?

Dr. Andreas Horn: Wenn man die Daten anschaut der letzten Jahre, dann ist es ein zunehmendes Problem. In der Zwischenzeit haben wir ungefähr nach der Untersuchung vom Robert-Koch-Institut, die ist auch schon zehn Jahre alt, ungefähr 20-25 Prozent der Patienten oder der Bevölkerung Deutschlands sind sensibilisiert. Sensibilisierung bedeutet aber nicht gleich Allergie, das ist quasi die Bereitschaft des Körpers. Diese Zahlen nehmen zu und das wird sicher in den nächsten Jahren aufgrund des Klimawandels, aufgrund der Umweltbelastung, die wir haben, der Stresssituation sicher zunehmen. Auf der anderen Seite gibt es wahrscheinlich auch mehr Behandlungsmöglichkeiten. Es sind heute schon einige Präparate in der Pipeline, beispielsweise fürs Asthma, auch für die polypenkronische Sinusitis mit Polypen, das sind sogenannte Biologika, die ganz spezifisch eben die Entzündungskaskade, die bei den Allergien vorherrscht, unterbrechen können. Und da ist sicher einiges zu erwarten in den nächsten Jahren, Frage natürlich auch immer, ob sich sowas durchsetzt, weil natürlich die Preise entsprechend hoch sind.

Martin Hoffmann: Wie sieht es eigentlich bei Ihnen persönlich aus mit Allergien?

Dr. Andreas Horn: Ich habe keine.

Martin Hoffmann: Verschont geblieben?

Dr. Andreas Horn: Ja, noch.

Martin Hoffmann: Das heißt, Sie haben den einen oder anderen Sandkuchen wahrscheinlich richtig gegessen oder auf einem Bauernhof aufgewachsen.

Dr. Andreas Horn: Nein, ich bin in der Stadt aufgewachsen, aber wir hatten einen großen Garten und da war ich mit meinen Geschwistern, aber auch wir waren einen Großfamilie mit Cousins und Cousinen, wir waren zwölf Kinder im gleichen Alter etwa, da ging es immer im Garten rund her.

Martin Hoffmann: Und wenn Sie jetzt mal die zwölf Kinder, wissen Sie da grob, sind...

Dr. Andreas Horn: Ich wüsste nicht, dass einer eine Allergie hat, nee.

Martin Hoffmann: Also ran an den Sandkuchen.

Dr. Andreas Horn: Genau so.

Martin Hoffmann: Herr Dr. Horn, vielen, vielen Dank.

Dr. Andreas Horn: Danke Ihnen.

Martin Hoffmann: Die Pollensaison verlängert sich und zusätzlich werden einige der Pollen auch noch aggressiver – also nicht wirklich die besten Neuigkeiten für alle Allergikerinnen und Allergiker, aber immerhin verbessert sich die Immuntherapie. Wie sieht's denn bei euch aus mit Allergien? Gehört Ihr zu den Betroffenen? Und wenn ja, wie habt ihr da vielleicht in den letzten Jahren eine Veränderung festgestellt? Schreibt's gern mal in die Kommentare und tauscht euch aus. In den Shownotes findet ihr auch wie immer mehr Informationen und Links, wenn ihr tiefer ins Thema einsteigen möchtet. Und wenn ihr Fragen und Anregungen habt, dann könnt ihr gerne eine Nachricht an uns schicken. Am einfachsten geht das über Instagram, @gesundnah. Zum Abonnieren: Glocke an und dann verpasst ihr auch keine Folge mehr. Und wenn Ihr schon dabei seid, lasst gerne auch noch eine Bewertung da. Ich bin Martin Hoffmann, bis zum nächsten Mal, wir hören uns.

Outro: GESUNDNAH – der Gesundheitspodcast der AOK Baden-Württemberg.

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