#27 Medienkompetenz: Sicher durch die digitale Welt
Shownotes
Das Internet bietet viele Chancen – aber auch Risiken, gerade für Kinder. Wie können Eltern ihre Kinder stärken und sie vor Gefahren im Netz schützen? Darüber spricht Martin Hoffmann mit Dr. Isabel Brandhorst, Diplom-Psychologin am Universitätsklinikum Tübingen, die Eltern rund um die Mediennutzung ihrer Kinder berät. Außerdem im Gespräch: Benjamin Thull von der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg. Er gibt Einblicke in die Medienwelt junger Nutzer/-innen und erklärt, worauf es beim sicheren Surfen ankommt.
Weitere Informationen:
In diesem Artikel der AOK gibt es nützliche Informationen zur Medienerziehung: https://www.aok.de/pk/magazin/familie/eltern/medienerziehung-mit-diesen-tipps-gelingt-sie-eltern/
Mehr Infos über das Projekt ISES! findet ihr auf der Website des Universitätsklinikum Tübingen: https://www.medizin.uni-tuebingen.de/de/ises-onlinetraining
Weitere Informationen über die unterschiedlichsten Medienthemen findet ihr auf der Seite der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg: https://www.lfk.de/
Eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, wie sich technische Geräte kindersicher machen lassen, gibt es hier: https://www.medien-kindersicher.de/startseite
Die Initiative „Schau hin!“ bietet viele aktuelle Informationen und Tipps für den Umgang mit allen wichtigen Kanälen und Plattformen sowie Medienkurse für Eltern – unterstützt von der AOK: https://www.schau-hin.info
Auf der Seite handysektor findet ihr viele spannende Informationen rund um den digitalen Alltag: https://www.handysektor.de/startseite
Sich einmal fühlen wie ein/-e Social-Media-Manager/-in? Das geht mit dem kostenlosen Online-Game „The Feed“: https://the-feed.de/
Weitere Informationen über das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration gibt es hier: https://sozialministerium.baden-wuerttemberg.de/de/startseite
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Transkript anzeigen
Intro: Unterwegs für die Gesundheit. GESUNDNAH - der Podcast der AOK Baden-Württemberg.
Martin Hoffmann: In welchem Alter sollte mein Kind ein Smartphone bekommen? Diese Frage hat es sogar bis in den Bundestagswahlkampf geschafft. Und auch hier gingen die Meinungen extrem auseinander. Wie sollte es auch anders sein? Das Handy ist das Tor zur digitalen Welt. Mit all dem Wissen und den großartigen Möglichkeiten auf der einen Seite, aber auch mit den Risiken und Schattenseiten. Täglich werden Milliarden von neuen Clips auf Social Media hochgeladen. Wer ist der eigentliche Aggressor im Krieg zwischen Russland und der Ukraine? Und warum sind die Körper von Influencern immer so makellos und perfekt? Gerade Kinder und Jugendliche brauchen hier einen klaren Kompass, um in der Welt von Fake News und Photoshop nicht unterzugehen. Ich bin Martin Hoffmann und heute reden wir über Medienkompetenz. Bei meiner Recherche bin ich immer wieder über sogenannte Future Skills gestoßen, also Fähigkeiten, die zukünftig für unser Leben immer essenzieller werden. Und Medienkompetenz steht, je nach Liste, mindestens in den Top 5. Es geht darum, zu erkennen, was ist fake und was ist echt, was ist bearbeitet und was natürlich, was legal und was illegal ist, was Abzocke ist und wem oder was ich wirklich vertrauen kann. Ich gebe zu, ich tue mir selbst bei vielen Postings wirklich schwer und muss zweimal hinschauen. Kindern und Jugendlichen fehlt oft noch die Referenz. Dadurch sind sie natürlich viel anfälliger für Manipulation. Und hier kommen dann die Themen Mediennutzung und Medienerziehung ins Spiel. Wie sieht eine sinnvolle Nutzung von Medien aus und welche Rolle spielen Eltern, aber auch Schulen bei der Kompetenzvermittlung? Fragen, die ich mit Dr. Isabel Brandhorst von der Uniklinik Tübingen diskutieren möchte. Sie leitet hierzu eine Forschungsgruppe in der Abteilung für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter. Frau Brandhorst war übrigens schon mal Expertin bei uns im Podcast. Da haben wir über das Thema Mediensucht, genauer gesagt internetbezogene Süchte gesprochen. Hört da gerne mal rein, Folge 2 vom November 2023. Danach treffe ich Benjamin Thull. Er leitet das Team Jugendschutz und Forschung der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg, kurz LFK. Hier betreut er die Projekte handysektor.de und medienkindersicher.de. So, ich bin jetzt gerade in Herrenberg angekommen und hier wohnt Isabel Brandhorst mit ihrer Familie. Sie hat übrigens zwei kleine Kinder. Über kurz oder lang wird das Thema für Sie auch privat relevant werden. Wenn es nicht sogar jetzt schon so weit ist. Mal kurz klingeln. Hallo Frau Brandhorst, hallo!
Dr. Isabel Brandhorst: Herr Hoffmann, schön, dass Sie da sind, hereinspaziert.
Martin Hoffmann: Danke schön! Frau Brandhorst, Handys, Smartphones sind wirklich aus unserem Leben ja gar nicht mehr wegzudenken. Was sagen Sie denn, ab welchem Alter sollten denn Kinder mit Smartphones umgehen dürfen?
Dr. Isabel Brandhorst: Also, die Frage kann ich so, wie Sie sie gestellt haben, eigentlich gar nicht beantworten. Weil es kommt ja sehr drauf an, was Kinder mit den Smartphones machen und ob es beispielsweise ihre eigenen Geräte sind oder sie einfach die Geräten der Eltern mitnutzen. Also, wenn man über Bildschirmzeit spricht, dann können Kinder bereits ab drei Jahren kleine kurze einfache Videos schauen. Je älter sie werden, werden es vielleicht Wissenssendungen, wo sie auch von profitieren können, wo sie beispielsweise auch Problemlösekompetenzen lernen oder auch ihren Wortschatz erweitern können, wenn wir dann über Social Media oder Gaming sprechen, dann ist es nochmal was anderes.
Martin Hoffmann: Ab wann ist die Kombination eigenes Smartphone und Social-Media-Nutzung vielleicht eventuell auch mit eigenem Profil, ab wann ist das sinnvoll?
Dr. Isabel Brandhorst: Ob es sinnvoll ist grundsätzlich, darüber lässt sich streiten. Muss man generell darüber nachdenken. Ich sag mal, ab wann ist es vielleicht nicht schädlich. Ich bin mir da noch nicht ganz sicher, welches Alter da das Richtige ist. Ich bin sicher, dass es für unter 13-Jährige nicht gut ist. Aber ob die Grenze dann bei 13, 14, 15 oder 16 liegt, das kann ich noch nicht genau sagen. Und ich finde, da müssen auch verschiedene Experten und Expertinnen gemeinsam dazu beraten, was denn dann eine sinnvolle Empfehlung sein kann. Der Punkt ist, dass man, um Social Media nutzen zu können, verschiedene Kompetenzen braucht. Beispielsweise wissen sollte, wie man damit umgeht, wenn man sich gemobbt fühlt. Wenn man aufgefordert wird, beispielsweise Nacktbilder zu posten. Oder nicht nur aufgefordern, sondern sogar bedrängt wird. Wenn man über gewaltvolle, pornografische Inhalte stößt. Das heißt nicht, dass das immer der Fall ist, aber das kann passieren. Und Kinder und Jugendliche sollten dann reif genug sein in ihrer Entwicklung, um mit diesen Dingen umzugehen. Das heißt im Umkehrschluss, wenn die Eltern bereit sind, mit ihren Kindern über diese Themen zu sprechen und diese Themen ihren Kindern zutrauen, die zu managen, dann ist das Kind alt genug für Social Media.
Martin Hoffmann: Was ist aus Ihrer Sicht da gerade Realität? Also ich finde, das klingt sehr, sehr logisch, dass die Eltern das sagen sollten. Wenn ich, ich sage es auch mal, in die Medien schaue, wenn ich filme, wenn ich Serien schaute, wenn ich einfach nur in der Bahn sitze und mich einfach mal umgucke, dann ist das eigentlich nicht die Realität. Da sitzen sehr, sehr viele sehr junge Menschen mit eigenen Smartphones, die das anschauen. Was macht es mit denen, wenn die das vielleicht erlaubt bekommen? Vielleicht nicht, aber trotzdem machen.
Dr. Isabel Brandhorst: Also Social Media kann beispielsweise das eigene Körperbild und entsprechend auch den eigenen Selbstwert negativ beeinträchtigen. Und wenn sich Kinder schon sehr früh damit konfrontieren, dann kann das einfach auch Auswirkungen auf ihre Entwicklung haben. Ganz unabhängig davon, dass viele Anwendungen in digitalen Medien so gestaltet sind, dass sie sehr hohen Aufforderungscharakter haben. Und zu längeren Nutzungszeiten verleiten, als man das vielleicht eigentlich selbst möchte. Social Media und Gaming verdrängen einfach andere Lebensbereiche. Das sind so die, um nur ein paar Gefahren zu nennen, warum ich denke, dass es da schwierig ist. Aber die Realität sieht tatsächlich so aus, dass bereits ungefähr ein Viertel der 8- bis 9-Jährigen beispielsweise TikTok nutzt. Und ab der dritten Klasse hat schon ca. die Hälfte ein eigenes Smartphone. Ich erlebe, dass die Eltern die eigenen Geräte und auch die Anwendungen eher mit einem schlechten Bauchgefühl erlauben, sich aber mit einem sozialen Druck ausgesetzt fühlen, das machen zu müssen, weil sie sonst Angst haben, ihr Kind in soziale Abseits zu befördern. Dass es einfach die relevanten Inhalte nicht mehr kennt, nicht mehr mithalten kann, weniger cool ist. Oder auch einfach ganz praktisch ausgeschlossen ist, wenn zum Beispiel über WhatsApp-Gruppen irgendwelche Aktivitäten vereinbart werden, die dann das Kind nicht mehr mitbekommt.
Martin Hoffmann: Bei der Bundestagswahl war das ja auch ein Thema, Smartphone-Verbot an Schulen zum Beispiel. Was halten Sie von sowas?
Dr. Isabel Brandhorst: Ich finde es durchaus eine Idee, die man weiter diskutieren und verfolgen könnte, zumindest im Grundschulbereich, weil ich eben erlebe, dass viele Eltern sich unter Druck gesetzt fühlen, ihren Kindern Smartphones bereits im Grundschulalter zu erlauben. Und ich denke, wenn es zumindest in der Schule verboten wäre, dann würde der soziale Druck sich reduzieren auf die einzelnen Familien. Das würde vielleicht dann dazu führen, dass insgesamt weniger Kinder in dem Altersbereich Smartphones haben und entsprechend dann auch weniger Zugang zu digitalen Spielen und sozialen Netzwerken haben. In der weiterführenden Schule wird es sehr schwierig, praktisch umzusetzen zu sein. Wir haben auch aktuell eine Umfrage am Laufen, wo wir Schülerinnen und Schüler befragen und da haben bereits zweieinhalbtausend Schülerinnen oder Schüler teilgenommen. Wir haben auch Lehrpersonal befragt und die allergrößte Mehrheit der Schülerinnen und Schüler ist zwar für Regelungen in der Schule, besonders für die Jüngeren, aber sie sind gegen ein komplettes Smartphoneverbot.
Martin Hoffmann: Wenn wir jetzt nochmal in die Familie schauen, welche Konflikte können da innerhalb dieser Familie auftreten, wenn es um das Thema Mediennutzung geht?
Dr. Isabel Brandhorst: Also, ich glaube, die Konflikte, die fast alle Familien kennen, sind Konflikte um Nutzungsdauer und ab wann darf ich was. Wir haben auch eine Befragung an über 800 Eltern durchgeführt und da war genau die Frage nach der zeitlichen Nutzung war die Top-1-Frage in allen Altersgruppen. Also, das fängt schon bei null an und hört bis 18 auf. Wie viel Zeit ist denn gut, ist gesund? Das ist so die Frage, die die Eltern eigentlich alle beschäftigen.
Martin Hoffmann: Gibt es da eine Antwort drauf? Wahrscheinlich nicht pauschal. Von 0 bis 18 ist wahrscheinlich schwierig, aber wenn wir jetzt, ich sage jetzt mal, von den ganz kleinen, so bis Kleinkind, Alter, irgendwie sowas. Was ist da eine Nutzungsdauer, Mediennutzungsdauer?
Dr. Isabel Brandhorst: Also in Bezug auf Social Media oder Gaming wissen wir beispielsweise, dass es so eine Grenze von ein bis zwei Stunden bei Jugendlichen gibt, die dann mit weniger Problemen assoziiert sind. Jetzt spielt aber schon der Durchschnittsjunge in Deutschland zwei Stunden digitale Spiele pro Tag. Mädchen im Durchschnitt ungefähr eine Stunde und die Internetnutzungsdauer liegt bei circa dreieinhalb Stunden. Social Media bei zwei Stunden. Also alleine im Durchschnitt von Deutschland sind wir schon über diesem ein bis zwei Stunden Screen-Time pro Tag. Es ist auch weniger die Zeit relevant als der Inhalt. Es ist ja ein großer Unterschied, ob ich zwei Stunden mit Social Media oder Gaming verbringe oder ob ich zum Beispiel eine Stunde was für meine Hausarbeit recherchiere.
Martin Hoffmann: Mit welchen Herausforderungen und Problemen kommen denn die Eltern dann vielleicht auch, wenn es um das Thema Medienerziehung geht?
Dr. Isabel Brandhorst: Momentan ist es ja so, dass Medienkompetenz nicht systematisch vermittelt wird. Also es gibt da sehr engagierte Schulen, die ganz fitte Lehrinnen und Lehrer haben, die Elternvorträge anbieten und die Medienkompertenz gut vermitteln. Und dann gibt es aber andere Schulen, die machen nichts, teilweise einfach auch aus Mangel an Ressourcen und aus Möglichkeiten. Dann bleibt es irgendwie an den Eltern hängen. Eltern haben das Gefühl, dass sie die Last der Medienerziehung größtenteils alleine tragen müssen und fühlen sich mit dieser Aufgabe überfordert. Nicht nur, weil es eine sehr zeitaufwändige Aufgabe ist, sondern weil es auch eigene Medienkompetenzen erfordert, die man, wenn man sie nicht automatisch hat, sich erst mal erarbeiten muss. Wie sollen Eltern Medienkompetenzen vermitteln, wenn sie die Kompetenze selbst gar nicht haben? Und manche Eltern kapitulieren vor dieser Herausforderung und machen dann entweder nichts oder beschränken sich auf zeitliche Limitationen, weil ich dafür keine inhaltliche Kompetenz brauche.
Martin Hoffmann: Das kann man mit Apps einstellen, da gibt es am Handy auch solche Sachen zum Beispiel.
Dr. Isabel Brandhorst: Ja oder sie verbieten es einfach. Sie sagen einfach hier, du kriegst die Konsole nur eine Stunde am Tag und die restliche Zeit ist der Controller bei mir oder eingeschlossen oder ich vertraue dir, dass du dich an die eine Stunde hältst. Aber zeitliche Limitationen führen halt eher dazu, dass irgendwann mal Medien zur Währung werden. Also ich trage nur den Müll raus, wenn ich dafür zehn Minuten länger zocken darf. Ich glaube die Eltern sollten sich eher als Kooperationspartner in der Medienkompetenzentwicklung verstehen und gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen lernen. Ich muss ja auch nicht alles wissen, sondern ich sollte möglichst das wissen, was mein Kind interessiert und was mein Kind gerne nutzen möchte. Ich brauche mich nicht über sämtliche Spiele informieren, wenn ich ein Kind habe, das sich überhaupt nicht für Spiele interessiert. Also ist es wichtigste im Gleichschritt miteinander zu gehen und im besten Fall einfach Hand in Hand. Also du interessierst dich für ein Spiel. Weil du es auf dem Schulhof mitgekriegt hast, lass uns das gemeinsam angucken.
Martin Hoffmann: Welche Rolle spielt denn der eigene Umgang auch als Elternteil mit den Medien?
Dr. Isabel Brandhorst: Das ist schon ein Faktor, der auch unterschätzt wird, weil Eltern rechtfertigen ihr Nutzungsverhalten. Ich check ja meine Arbeitsmails, ich muss ja gucken, wie es das Wetter hat, damit ich weiß, was du heute anziehst. Ich muss gucken, gibt es Stau auf der Strecke,... was weiß ich. Und diese Rechtfertigung macht eigentlich wenig Sinn, weil es würde bedeuten, das, was die Kinder machen, ist nicht wichtig, und das, das ich mache, ist wichtig. Aber für die Kinder ist das natürlich mindestens genauso wichtig, was sie machen wollen. Deswegen sich dessen bewusst machen, dass die eigene Mediennutzung von den Kindern nicht so bewertet wird, wie man es selber vielleicht bewertete, also meins wichtig, deins unwichtig, und versuchen, die eigene Mediennutzungen aus den Augen der Kinder zu sehen.
Martin Hoffmann: Jetzt haben Sie vorhin gesagt, also dieses Zeitkontingent, das kenne ich auch wirklich aus sehr, sehr vielen Familien, das ist sehr gehandelt, also das ist eigentlich eine Währung, genau. Welche Regelungen, welche Vereinbarungen helfen denn dann besser als, ich sage es mal, so ein Zeitkoningent, so eine Währung, die man da eingeführt hat mit den Kindern?
Dr. Isabel Brandhorst: Also ich finde, das Zeitkontingent ist schon wichtig, zumindest für die Kinder, die sich nicht so gut selber kontrollieren können. Aber ich finde es wichtig, dieses Zeitkoningent eben gemeinsam auch mit den Kindern zu besprechen. Da muss man nämlich auch selber argumentieren, warum will man denn eigentlich ein Zeitkontingent. Und da hilft das Argument, das stand in irgendeinem Ratgeber, das hilft nicht. Sondern man muss ja argumentieren. Es könnte zum Beispiel sein, mir ist es wichtig, dass wir unseren Alltag vielfältig gestalten und dass wir den nicht nur mit Medien verbringen, sondern eben auch mit Bewegung, mit Entspannung, mit Gesprächen, zusammen was kochen, backen, was auch immer.
Martin Hoffmann: Wir haben vorhin kurz über die Rolle von Schulen gesprochen. Welche Rolle sollten Schulen spielen bei der Medienkompetenzvermittlung?
Dr. Isabel Brandhorst: Ich glaube, es sollte eine Fach Medienkompetenz geben. Ich weiß auch, dass das gerade in Diskussion ist. Ich hoffe, dass es einfach auch mit Inhalten gefüllt wird, die einen Präventionscharakter haben. Dass es nicht nur darum geht, wie gestalte ich eine PowerPoint-Präsentation, wie mache ich ein mögliches, sicheres Passwort, sondern dass es eben auch darum geht. Beispielsweise zu verstehen, wie Gaming- und Social-Media-Industrie eigentlich funktioniert. Wo und wie versteckte Werbung einen beeinflussen können, wie das eben mit den Schönheitsidealen auf Social Media funktioniert, was die Bindungsfaktoren in Free-to-Play-Spielen sind, dass auch darüber aufgeklärt wird. Und auch darüber, wie kann ich denn alternativ mit unangenehmen Gefühlen, Gedanken, Sorgen umgehen. Alternativ zu ich lenke mich mit Medien ab.
Martin Hoffmann: Wie optimistisch sind Sie denn, dass sowas wirklich an den Schulen auch stattfinden kann? Weil es muss ja auch sehr, sehr nah an der Lebensrealität der Jugendlichen dran sein. Und das entwickelt sich ja so, so schnell, dass die Lehrkräfte dann auch einen Schritt halten. Und das Fach muss sich ja eigentlich, ich sage jetzt mal, alle paar Monate neu erfinden wieder.
Dr. Isabel Brandhorst: Also ich bin eigentlich grundsätzlich ein optimistischer Mensch. Ich sehe die Schwierigkeit momentan darin, dass ich glaube, dass es keine Lehrkräfte gibt, die dieses Fach in der Vielfältigkeit anbieten können. Also ich weiß, dass das beispielsweise die Überlegungen gibt oder ich habe gehört, dass es die Informatiker umsetzen sollen, vielleicht im ersten Schuljahr. Da frage ich mich schon, bringen sie das Wissen zu diesen sozial-emotionalen Themen, zu den Soft Skills, bringen die das mit oder bleibt es dann ein Fach, das eben sehr technisch orientiert ist? Ich glaube, die Schule muss sich damit beschäftigen, aber bis das wirklich dann auch über die Lehrer-Kurrikulen im Studium in den Schulen ankommt, könnte das noch einige Jahre dauern.
Martin Hoffmann: Jetzt leiten Sie ja auch das Projekt ISES. Was hat es denn mit ISES genau auf sich? Also wie werden da Eltern bei der Medienerziehung unterstützt?
Dr. Isabel Brandhorst: ISES steht als Akronym für Internetsucht Eltern stärken und ist eigentlich aus einem Gruppentraining heraus entstanden, wo wir Eltern eben stärken wollten, deren Kinder eine Internetsucht haben, die das aber ganz oft einfach ganz anders sehen, die eher sagen, hey, nicht ich hab das Problem, sondern du, nicht, ich geh in eine Behandlung oder eine Beratung, du kannst es ja gerne machen, wenn du das möchtest. Und dann hatten wir da eben die ganzen verzweifelten Eltern bei uns in Tübingen vor der Tür stehen und wollten denen ein Angebot machen. Dann gab es erst ein Gruppentraining, daraus ist dann ein Online-Training entstanden. Und wir hatten immer wieder das Gefühl, Mensch, wir müssen früher schon was anbieten. Daraufhin haben wir dann das ISES Kids Training entwickelt, also ein digitales, kostenfreies, anonymes Angebot für Eltern, für Kinder im Grundschulalter von 6 bis 12. Und wir versuchen Eltern innerhalb dieses Trainings zu motivieren, mit ihren Kindern eben gemeinsam Mediennutzungsregeln auszuhandeln. Wir informieren Eltern über Vor- und Nachteile von digitalen Spielen, Streamingangeboten und sozialen Netzwerken. Wir geben Anleitungen, eben auch Beispiele, wie so eine Medienkonferenz, wenn man das aussehen kann. Wie man welche Kommunikationsstrategien man anwenden kann, um da eben möglichst in der Kooperation mit dem eigenen Kind zu kommen und nicht irgendwann in so einem Katz-und-Maus-Spiel zu landen, wo Eltern immer strenger regulieren und Kinder immer kreativer werden, diese Grenzen zu übertreten. Es geht aber natürlich auch darum, wie können Eltern reagieren, wenn sich Kinder nicht an die Regeln halten. Und es geht aber auch um die eigene Vorbildrolle, eben nicht nur in Bezug auf Medienutzung, sondern auch In Bezug auf Kommunikation, eigene Sozialkontakte, Freizeitverhalten und Stressregulation.
Martin Hoffmann: Also lohnt sich auf jeden Fall da mal reinzuschauen und wir werden den Link dazu auch bei uns in die Shownotes reinpacken, also wer da Interesse hat, einfach mal in die Shownotes reingucken. Frau Brandhorst, vielen, vielen Dank, super spannend, Danke schön.
Dr. Isabel Brandhorst: Sehr, sehr gern!
Martin Hoffmann: Google Maps sei Dank, konnte ich sogar einen kleinen Stau umfahren und bin jetzt bei der LFK angekommen. Es ist 14 Uhr, also ich bin pünktlich auf die Minute, jetzt noch hoch in den fünften Stock und da holt mich Herr Thull ab, direkt am Empfang meinte er. Fünfter Stock. Ich laufe jetzt über die Flure von der LfK. Ich guck mal grad hier die Zimmer 519, 520 und da müsste er auch schon sein. Hallo Herr Thull, hallo.
Benjamin Thull: Hallo, ich begrüße Sie. Schön, dass Sie da sind.
Martin Hoffmann: Herr Thull, wie erleben Kinder und Jugendliche den digitalen Raum heute, auch jetzt vielleicht im Vergleich zu früher?
Benjamin Thull: Also wenn wir vom digitalen Raum sprechen, dann gehe ich jetzt mal so davon aus, dass Sie meinen, so die Zeit ab Personal Computer, erster Computer zu Hause, Zugang zum Internet, etc.
Martin Hoffmann: Genau so wo es noch keine große... Also die große Hürde online zu gehen, ist mal abgebaut.
Benjamin Thull: Also da, würde ich sagen, ist ein wesentlicher Unterschied, dass natürlich am Anfang eher so die Situation war, es gab so diesen einen stationären Computer im Haushalt. Es gab einen Internetzugang. Und da war natürlich auch so ein bisschen die elterliche Kontrolle noch ein bisschen mehr da, wie das auch eigentlich mit dem Fernsehen am Anfang war. Es gab dieses eine Fernsehgerät, man hat auch so bisschen mitgekriegt, was wurde geschaut. Genauso war es mit diesem ersten PC, wo die Eltern noch Einblick hatten. Und dann natürlich auch grundsätzlich die Situation, dass die ersten Internetinhalte natürlich über Webseiten verbreitet wurden. Das heißt, man musste gezielt da irgendwie über Suchmaschinen reingehen oder URLs eingeben, um auf bestimmte Webseite zu kommen. Und man kann vielleicht auch grund-sätzlich schon mal sagen: damals war es auch von der Technik her wahrscheinlich ein bisschen einfacher mit Jugendschutzfiltern zu arbeiten, die auf Keywords basieren, um jugendschutzrelevante Inhalte herauszufiltern. Das hat sich natürlich grundlegend gewandelt, also insbesondere so um die Jahre 2004, 2007. Also das war ja dann zum einen mal dieses, mit dem Aufkommen von Facebook hatten wir das erste Social-Media-Network. Und dann 2007 kam so das erste Smartphone, das erste iPhone raus. Und das hat natürlich die Mediennutzung und Mediennutzungslandschaft, auch die Verfügbarkeit von Internet, das hat das massiv gewandelt. Das heißt, heute ist es ja eher so, Jugendliche haben ihr Smartphone, das ist das wichtigste Gerät, mit dem sie online gehen und sie gehen über Apps, nutzen sie die Inhalte, insbesondere Social-Media-Apps. Auch da ist natürlich vielleicht auch grad so mit Blick auf Jugendschutz eine ganz veränderte Nutzungssituation. Wenn Sie sich das vorstellen. Früher, dann hat man eine bestimmte Webseite angesurft vielleicht als Kind, wenn man mal nicht beobachtet wurde, war aber dann schon so vom Mindset so in der Stimmung, okay, ich will mir jetzt mal was Gruseliges anschauen oder irgendwas, was mich so ein bisschen herausfordert. Während heute natürlich im Social-Media-Feed durchaus auch mal was ganz überraschend kommen kann. Und das Smartphone mit diesem Gerät sind Kinder und Jugendliche mittlerweile ja praktisch verwachsen. Und sie können sich natürlich auch viel leichter dieser Kontrolle von außen entziehen. Also da hat schon ein massiver Wandel stattgefunden.
Martin Hoffmann: Wenn wir über die Inhalte mal sprechen, also auf welchen Plattformen sind die Jugendlichen, sind die Kinder unterwegs?
Benjamin Thull: Also aus unseren Mediennutzungsstudien, den KIM- und JIM-Studien des Medienpädagogischen Forschungsverbundes, da können wir heraussehen, dass natürlich eigentlich Jugendliche eben hauptsächlich auf dem Smartphone unterwegs sind und da eben Instagram, YouTube, WhatsApp, TikTok und Snapchat, das sind so eigentlich die wichtigsten Apps, die sie nutzen.
Martin Hoffmann: Was würden Sie sagen, welche Chancen bieten digitale Medien für Kinder und Jugendliche?
Benjamin Thull: Das ist natürlich auch eine wesentliche Funktion der Medien, dass man im Kontakt bleiben kann, dass man sich austauschen kann, insbesondere mit Gleichaltrigen. Aber es gibt noch ganz viele weitere positive Aspekte. Da gehört natürlich auch, wie für uns alle, die Unterhaltung dazu. Aber gerade mit Blick auf die Jüngeren, also ich beneide die manchmal, weil auch so viele Lerninhalte oder Erklärvideos allein auf YouTube. Ja, also wenn ich so die Möglichkeit gehabt hätte, meinen Matheunterricht nachzubereiten, wie Kinder und Jugendliche das heute haben, wären meine Noten vielleicht auch ein bisschen besser gewesen. Man hat für alle möglichen Inhalte nochmal Erklär-Videos. Man kann Recherchen anstellen und für die Aufklärung insgesamt ist es natürlich auch toll.
Martin Hoffmann: Jetzt haben Sie vorhin gesagt, früher ist man auf verschiedene Homepages irgendwie angesurft, man hat die so angesurfte, und man wusste so ein bisschen, was einen da erwarten wird. Jetzt ist es so ein Social-Media-Feed komplett anders. Wo sehen Sie denn da die Gefahren quasi für Kinder und Jugendliche im Umgang gerade mit Social Media?
Benjamin Thull: Ja, also grundsätzlich kann man mal sagen, man kann so unterscheiden zwischen Inhalts- und Interaktionsrisiken. Also Inhaltrisiken, das sind so die Klassiker, die wir alle so im Kopf haben, wenn wir an Jugendschutz denken. Gewalt, Pornografie, Kennzeichen von verfassungswidrigen Organisationen, Holocaust-Leugnung etc. Das sind so klassische Inhalstrisiken. Aber über Social Media ist natürlich auch ganz viel dieses Thema Interaktionsrisiken dazugekommen. Also es betrifft natürlich nicht nur Social Media, sondern auch die Messanger, WhatsApp, etc. Das heißt, überall da, wo eigentlich eine Kommunikationsfunktion eröffnet ist und wo ich sozusagen weltweit mit jedem irgendwie in Kontakt stehen kann, sei es über ein Spiel oder über eine Social-Media-Plattform, da ist natürlich dann Tür und Tor geöffnet für jegliche Art von Risiko. Das können auch Inhaltsrisiken sein. Das heißt, ich kriege zum Beispiel in der WhatsApp-Gruppe der Schule irgendwelche Inhalte zugespielt, die vielleicht nicht so für Kinder und Jugendliche geeignet sind. Das sind aber eben auch diese Interaktionsrisiken, wie zum Beispiel das Cyber Grooming, also dieses Anbahnen von sexuellen Kontakten. Und das ist heute mitunter die größte Herausforderung, weil diese Art der Kommunikationsfunktion ist eigentlich in allen Diensten mit angelegt, also wir hatten... Vor kurzem gab's dieses prominente Beispiel, das ist das Spiel Roblox, das eigentlich von der Machart her sehr nett gestaltet ist, da bewegt man sich ja in so Spielewelten mit so Lego-artigen Figuren. Und das Spiel hatte ursprünglich eine Freigabe zwölf. Und diese Altersfreigabe wurde eben wegen dieser Kommunikationsfunktion auf 16 angehoben. Also, das ist ein ganz wichtiger Aspekt.
Martin Hoffmann: Was kann man denn dagegen machen? Also wie kann man gegen sowas vorgehen, dass das einfach in dem eigentlichen Sinne auch genutzt wird, wie es eigentlich auch entwickelt wurde?
Benjamin Thull: Also zum einen muss man natürlich die Anbieter solcher Dienste, die so eine Chat-Funktion anbieten, in die Pflicht nehmen, dass sie zum Beispiel sehr niedrigschwellige Meldemechanismen vorhalten, die auch für Kinder und Jugendliche leicht bedienbar sind. Es gibt mittlerweile auch tatsächlich schon ganz gute KI-Anwendungen, die praktisch in so einem Chat dann im Hintergrund mitlaufen können und die das anhand des Chat-Verlaufs dann auch sehen können, wenn es in Richtung einer solchen sexuellen Anbahnung geht. Meistens ist ja auch die Strategie der TäterInnen, sozusagen dann die Kinder auf eine andere Plattform zu locken, aus diesem Chat raus, zum Beispiel auf Discord oder in WhatsApp oder so und dort sozusagen dann weiterzumachen, das ist das eine. Und das andere ist ganz klar Medienkompetenzvermittlung, Medienbildung. Also, man muss mit den Kindern darüber reden, das muss durch die Eltern natürlich geschehen. Durch Schule und so weiter ganz klar Aufklärung.
Martin Hoffmann: Wie gehen denn Kinder und Jugendliche mit Inhalten um, die KI-generiert sind?
Benjamin Thull: Wir haben dazu 2022 eine JIM-Plus-Studie gemacht, extra mal zu dem Thema Fake News, wie wir das wahrgenommen, etc. Da kann man jetzt zusammenfassend sagen, dass eigentlich dieses Thema oder dass die hauptsächliche Handlungsstrategie von Jugendlichen eigentlich das Ignorieren ist. Also sie sind sich bewusst der Tatsache, dass über Social Media Plattformen sehr viel Falschinformation verbreitet werden. Auf der anderen Seite ist es aber auch ihre Hauptinformationsquelle. Was wir schon merken, ist, dass mit zunehmendem Alter die Bereitschaft größer ist, mal Quellen zu überprüfen oder alternative Quellen heranzuziehen. Und was unsere Studien gezeigt haben, ist auch, dass natürlich Eltern und Freunde da eine große Rolle spielen. Also als dann doch nochmal Sparringspartner, wo man sagt, OK, ich rede mal mit denen drüber. Habt ihr das auch gehört? Glaubt ihr, das ist da was dran? Das ist eine große Strategie.
Martin Hoffmann: Welche positiven Entwicklungen, wenn wir gerade über Medienkompetenz sprechen, sehen Sie denn da gerade?
Benjamin Thull: Also ein Punkt, den ich da durchaus positiv sehe, ist, dass immer mehr Bundesländer das Fach Medienbildung, dass das als explizites Fach in der Schule jetzt angeboten wird. Es gibt nach wie vor noch oft diesen Ansatz, na ja, da kommt halt vielleicht mal einmal im Schuljahr jemand von der Polizei oder von irgendeiner Beratungsstelle und macht so einmalig vielleicht so einen Workshop, das ist auch okay, oder es ist eben das Thema Medienbildung ist spiralkurikular angelegt. Das heißt, jeder Lehrer soll, wenn es sich im Rahmen der allgemeinen Stoffvermittlung anbietet, auch das Thema Medienbildung unterbringen. Das funktioniert eher so leidlich. Ja, also das kann man auch schlicht von den Lehrerinnen und Lehrern nicht verlangen, dass sie da immer up to date sind. Was wir schon auch sehen in den Dingen, die wir jetzt so als Medienanstalten anbieten im Bereich der Medienkompetenzvermittlungen, das ist wirklich sehr, sehr gut abgerufen wird. Diese ganzen Informationen, die wir da anbieten, die Webseiten, unsere Social Media Auftritte und so, das wird, kriegen wir von außen immer ein sehr gutes Feedback, dass es das gibt und dass man das nutzen kann.
Martin Hoffmann: Ist es nicht schwierig, so etwas als wirkliches Schulfach zu etablieren? Ich finde den Ansatz einfach zu sagen, da kommt jemand von außen, die immer frisch, die immer neu, mit dem Neuesten irgendwie versorgt sind. Macht es nicht vielleicht mehr Sinn, als da irgendwie Lehrkräfte drauf anzusetzen?
Benjamin Thull: Ja und nein. Also ich gebe Ihnen recht, dass die Experten von außen vielleicht, weil sie immer am Puls der Zeit sind, was die Entwicklungen angeht, da momentan zumindest die besseren Ansprechpartner sind. Ich sehe eher das Problem früher gelagert. Also dieses Thema Medienbildung muss ja in die Lehrerfortbildung reinkommen. Das heißt, wir müssen erst jetzt mal eigentlich eine Generation von Lehrerinnen und Lehrern ausbilden, die dieses Thema auf dem Schirm haben, die die richtigen Herangehensweisen haben, ja, die ganze Themenpalette kennen. Und dann würde ich aber schon sagen, dann müssen die eigentlich immer Medienexperten sein. Also die können dann natürlich auch nicht aufhören nach ihrer Lehrerfortbildung und sagen, das habe ich mal vor zehn Jahren in meiner Lehrerfortbildung über Medienkompetenz gelernt. Sondern die müssen dann eigentlich genau diese Rolle der Experten einnehmen und immer am Puls der Zeit bleiben und sich informieren und weiterbilden. Und das ist ja auch genau das Thema, was diese Medienkompetenzvermittlung so anstrengend macht. Das sage ich auch oft bei Elternabenden. Das ist eben nicht ein Thema, wo man sagen kann, wie bei Verkehrserziehung oder Hygieneerziehung. Ich bringe meinem Kind für einen bestimmten Zeitpunkt oder eine bestimmte Zeitspanne eine regelbasierte Vorgehensweise bei und dann kann's das. Dann weiß es, wie man sich die Zähne putzt, und dann ist es abgeschlossen. Medienkompetenzvermittlung ist halt, es wird alle paar Wochen eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Und ich muss mich damit auseinandersetzen. Und das macht es halt gerade auch für die Eltern so schwierig, das Thema im Erziehungsalltag unterzubringen, weil sie oft selbst natürlich gar nicht die Zeit und die Kenntnisse haben, wo informiere ich mich da überhaupt.
Martin Hoffmann: Jetzt betreuen Sie auch noch verschiedene Projekte zum Beispiel Handy-Sektor und Medien-Kinder sicher. Das sind ja eigentlich auch Plattformen, die sich Eltern, Eltern und auch Lehrerinnen und Lehrer natürlich gut Informationen ziehen können.
Benjamin Thull: Absolut, genau. Also wobei man sagen muss, der Handy-Sektor, das ist eigentlich tatsächlich ein Angebot, das wir speziell für Jugendliche anbieten. Da gibt es zum einen eine Webseite, handysektor.de, da sind wir aber überwiegend natürlich auf Social Media unterwegs, weil, hatte ich eben erwähnt, Jugendliche bewegen sich kaum noch auf Webseiten, sondern wir müssen sie da ansprechen, wo sie unterwegs sind. Und da geht's eigentlich um Tipps rund um die mobile Mediennutzung. Da wollen wir auch nicht so mit dem erhobenen Zeigefinger unterwegs sein, sondern eher sagen, okay, wir wissen, ihr nutzt das. Wir greifen auch so aktuelle Themen auf. Zum Beispiel, ja, das musst du wissen, wenn du ChatGPT nutzt oder wenn du das für die Schule nutzen willst. Was sind sinnvolle Einsatzbereiche oder auch so ganz banale Themen wie jetzt gibt's wieder neue Emojis, was bedeuten die? Aber auch ganz konkrete Hilfestellungen. Wir haben auf unserer Webseite zum Beispiel so einen digitalen Erste-Hilfe-Koffer. Ich habe Fake News gesehen, was kann ich tun? Ich bin betroffen von Cyber Grooming oder Cyber Mobbing, an wen kann ich mich wenden? Wo gibt es Beratungsstellen? Wenn es vielleicht auch mal dann nicht die Eltern oder Schulsozialarbeiterinnen sind, sondern es gibt da Möglichkeiten sich zu informieren. Tatsächlich ist es so, dass wir auch da Materialien für Pädagoginnen und Pädagogen anbieten und das auch ganz viel genutzt wird. Bei medienkindersicher.de, das ist eigentlich auch ein Ergebnis unserer Studien. Da haben wir nämlich im Rahmen unserer Studien festgestellt, dass so round about 70 Prozent der Eltern überhaupt gar keine Schutzeinstellungen verwenden, also auf keinen der Geräte, die von den Kindern genutzt werden. Und da haben wir uns natürlich die Frage gestellt, warum ist das so? Der Grund liegt eigentlich darin, dass es auch das für Eltern oft eine Überforderung ist, sich für jedes einzelne Gerät, für jeden einzelnen Dienst die Informationen irgendwo im Netz zusammenzusuchen und die auch noch zu verstehen, ja?
Martin Hoffmann: Kann ich aber gut nachvollziehen. Also es ist ja überall dann auch wieder unterschiedlich und man muss die Informationen erstmal finden und dann muss man es technisch umsetzen können.
Benjamin Thull: Genau, und selbst bei den Anbietern dieser Schutzsoftware oder der Schutzeinstellungen ist das oft nicht so richtig gut und niedrigschwellig erklärt. Das ist uns auch noch aufgefallen. Und jemand, der vielleicht nicht so technikaffin ist, für den ist das eine große Hürde. Die haben dann auch Angst, irgendwas vielleicht falsch einzustellen und dann nicht mehr zu wissen, wie kann man das noch mal deaktivieren. Und da haben wir halt gesagt, wir müssen mal auf einer Plattform für alle gängigen Geräte, Dienste, Apps, etc. Das versammeln und in einfachen Schritt-für-Schritt-Einleitungen darstellen, was kann man denn einstellen? Also das wirklich ganz niedrigschwellig anzubieten, auch mit Erklärvideos und da einfach den Eltern niedrig schwelligen Zugang zu bieten. Wir haben auch auf der Seite zum Beispiel so Assistenten, wo man dann wirklich angeben kann, das sind die Geräten und Diensten, die mein Kind nutzt. Und dann führt einem der Assistent Schritt für Schritt da durch, weil Wenn man das nutzt, wird man merken, das ist schon einiges an Aufwand, den man da betreiben muss. Ich schaffe das gar nicht an einem Tag. Und dann kann man sich sozusagen am nächsten Tag oder eine Woche später noch mal einloggen, sagen Assistent, nimm mich noch mal bei der Hand. Was müssen wir noch einstellen? Und Eltern können dann auch informiert werden, wenn zum Beispiel bei Instagram oder bei WhatsApp sich noch mal was ändert. Da muss ich nicht proaktiv immer hinterher sein und gucken, hat sich da was geändert, sondern dann kriegen sie von uns praktisch einen Hinweis, eine Mail, die sagt, guck da nochmal rein, stell nochmal was nach.
Martin Hoffmann: Das klingt auf jeden Fall super praktisch, weil ich meine, da kommt ein neues Update, dann hat sich wieder was geändert, dann sieht es vielleicht auch noch mal anders aus und schon sind dann einige wieder verloren. Sehr, sehr praktisch und auch wirklich eine direkte Hilfe, höre ich da wirklich so raus. Werden wir in den Shownotes verlinken nochmal. Und dann haben Sie ja auch noch ein Serious Game, The Feed. Wie unterstützt das die Bildung von Medienkompetenz?
Benjamin Thull: Ja, das ist jetzt so ein ganz neues Medienkompetenzangebot, das wir entwickelt haben. Eine ganz tolle und spannende Sache. Das basiert auf diesem Game based Learning ist also praktisch ein Serious Game. Und der Hintergrund ist so ein bisschen oder die Story dieses Games ist, dass die Spieler und Spielerinnen da praktisch in die Rolle von einem Praktikanten in einem Social-Media-Unternehmen schlüpfen und praktisch den Feed von unterschiedlichen Social Media NutzerInnen pflegen müssen oder bedienen müssen. Die sammeln praktisch Daten von diesen Nutzern und merken dann, der interessiert sich für Hunde, der interessiert für Musik und so weiter und müssen dann sozusagen die Nutzerinnen so lang wie möglich bei Laune halten und auf der Plattform halten. Und der Sinn und Zweck ist natürlich dadurch, dass die NutzerInnen in diese Rolle des Social-Media-Unternehmens schlüpfen, lernen sie natürlich auch mit welchen Mechanismen da gearbeitet wird, um einen möglichst lang bei der Stange zu halten, um einem möglichst lang in diesen Dienst reinzuziehen, auch was natürlich über das Thema Datenschutz und so weiter. Und das ist eigentlich der Ansatz dieses Serious Game. Und gedacht ist es auch so, es gibt da auch Begleitmaterial für Pädagoginnen und Pädagogen, dass es tatsächlich dann auch in der Schule zum Einsatz kommt. Da gibt es tolles Begleitmaterial, das man dann auch bei uns bestellen kann. Und es ist so konzipiert, dass man das in einer Schulstunde eigentlich spielen kann. Und es auch kostenlos verfügbar. Man kann es auch bei Interesse... Jeder darf und kann es spielen.
Martin Hoffmann: Werden wir auch in die Shownotes reinpacken und also ich stelle es mir wirklich gut vor in so einem Medienkompetenzunterricht dann so ein Spiel mal zu spielen ist ja auch ein Jobbild das sich sehr viele auch vorstellen könnten in dem Alter die dann immer was mit Social Media machen wollen finde ich finde ich auch sehr spannend haben sie es auch schon gespielt?
Benjamin Thull: Ja, klar. Ja, das macht Spaß. Und man merkt, dass man schon so noch mal ein neues Bewusstsein entwickelt durch diesen Rollentausch. Also ich bin jetzt eigentlich auf der Seite, die mir sonst sozusagen den Feed füllt, ja, und ich bin es aber in der Rolle und muss gucken: oh, was kann ich denn dem anbieten? Und das ist schon bewusstseinserweiternd auf jeden Fall auch für mich noch, obwohl ich mich schon lange mit dem Thema beschäftige.
Martin Hoffmann: Spannend. Ich muss das, glaube ich, auch mal spielen.
Benjamin Thull: Auf jeden Fall.
Martin Hoffmann: Herr Thull, vielen, vielen Dank.
Benjamin Thull: Ich danke Ihnen auch.
Martin Hoffmann: Im Bereich Medienkompetenzvermittlung da tut sich einiges und ich finde es wirklich spannend, dass auch hier immer mehr auf KI gesetzt wird. Bei der Vermittlung hat sich gezeigt, dass man wirklich so nah wie möglich an der Lebenswelt der jungen Menschen dran sein sollte, wenn man sie wirklich erreichen will. Und ich bin auch sehr gespannt, wie sich die Pläne für Medienkompetenz als Schulfach entwickeln. Und Frau Brandhorst hat ja gesagt, naja, das wird wahrscheinlich nur funktionieren, wenn Eltern und Schulen da wirklich zusammenarbeiten. Außerdem sollte man auch die eigene Mediennutzung nochmal überdenken, weil viele Kinder schauen sich einfach sehr viel von ihren Eltern ab. Wie sieht es denn bei euch aus? Wie schätzt ihr denn eure eigene Medienkompetenz ein? Und wenn ihr Eltern seid, wie vermittelt ihr die Mediennuzung an eure Kinder? Schreibt es gerne mal in die Kommentare. In den Shownotes gibt es auch wieder die Links zu den angesprochenen Projekten von Isabel Brandhorst und Benjamin Thull, klickt euch da gerne mal durch. Und noch mal ein kleiner Reminder, in Folge 2 haben wir über Mediensucht gesprochen, auch sehr, sehr spannend. Wenn ihr Themenvorschläge und Anregungen habt, immer gerne her damit. Und am einfachsten geht das über unser Instagram-Profil, @gesundnah. Wenn ihr keine Folge mehr verpassen wollt, wisst ihr auch, wie das funktioniert, dann am besten abonnieren. Und dann hören wir uns beim nächsten Mal wieder. Ich bin Martin Hoffmann, wir hören uns.
Outro: GESUNDNAH - der Gesundheitspodcast der AOK Baden-Württemberg.
Martin Hoffmann: Dieser Podcast ist in Kooperation mit dem Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg entstanden.
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