#17 Jung im Alter: Was hält uns fit?

Shownotes

Die ersten 20 Lebensjahre sind besonders wichtig für ein starkes Gehirn im Alter. Aber auch im hohen Alter kann man noch einiges für seine mentale und körperliche Gesundheit tun. Wie das geht, erklären der Neurowissenschaftler Prof. Dr. Manfred Spitzer und der Sportwissenschaftler Prof. Dr. Hans Bloss.

Weitere Informationen zu Prof. Dr. med. Dr. phil. Manfred Spitzer, seine Arbeit und Publikationen findet ihr hier: https://www.uniklinik-ulm.de/psychiatrie-und-psychotherapie-iii/team/prof-dr-med-dr-phil-manfred-spitzer.html

Wenn ihr mehr über Prof. Dr. Hans Andreas Bloss erfahren wollt, dann schaut auf seiner Website vorbei: https://molihua.de/bloss/

Spannende Informationen zum TransferZentrum für Neurowissenschaften und Lernen gibt es hier: https://wp.znl-ulm.de/

Für Versicherte der AOK Baden-Württemberg gibt es eine große Anzahl an Bewegungskursen. Das Angebot könnt ihr über die Website aufrufen: https://www.aok.de/pk/gesundheitskurse/bewegung/

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Intro: Unterwegs für die Gesundheit. GESUNDNAH - der Podcast der AOK Baden-Württemberg.

Martin Hoffmann: Kennt ihr den Film „Der seltsame Fall des Benjamin Button“? Der ist schon ein bisschen älter aus dem Jahr 2008 mit Brad Pitt in der Hauptrolle. Darin geht es um einen Mann, der rückwärts altert und jünger statt älter wird. Das ist echt ein schönes, modernes Märchen. Ist natürlich alles fiktiv und läuft in der Kategorie Fantasy. Passt aber sehr gut zu unserem heutigen Thema. Die Altersforschung berichtet nämlich seit langem von einem besonderen Effekt. Ältere Menschen fühlen sich rund zehn Jahre jünger, als es ihrem biologischen Alter entspricht. Dieses sogenannte Down-Aging eröffnet komplett neue Lebensphasen. Die Art und Weise, wie Menschen älter werden, löst sich immer mehr von ihrem chronologischen Alter, also der Anzahl an Jahren, die man gelebt hat. Ich bin Martin Hoffmann und heute wollen wir mehr über lebenslanges Lernen herausfinden. Dabei gehe ich der Frage nach, welche Auswirkungen Neugier auf den Alterungsprozess hat. Meine These: Wer neugierig bleibt und lebenslang Lust hat zu lernen, altert langsamer und bleibt länger fit. Bei Professor Hans Andreas Bloss ist das definitiv so. Er ist 85 Jahre alt und macht fast täglich Sport. Er ist auch Sportwissenschaftler, hat also einen besonderen Bezug zur Bewegung, das muss ich vielleicht dazusagen. Und er hat auch ein Ratgeberbuch geschrieben, wie man sich bis ins hohe Alter körperlich und geistig fit hält. Ihn treffe ich später bei ihm zu Hause in Ettlingen. Aber zuerst muss ich verstehen, was sich im Gehirn verändert, während wir älter werden. Also wie sich neuronale Strukturen und Verbindungen im Gehirn im Laufe des Lebens anpassen. Und welche Rolle das Lernen hier spielen kann. Dazu bin ich jetzt in Ulm an der Uniklinik mit Professor Dr. Dr. Manfred Spitzer verabredet. Er ist Neurowissenschaftler und Professor für Psychiatrie an der Universität Ulm. 2004 hat er das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen gegründet. Außerdem ist er Bestsellerautor, unter anderem mit dem Buch "Wie wir denken und lernen. Ein faszinierender Einblick in das Gehirn von Erwachsenen". Herr Professor Spitzer, was würden Sie denn sagen? Wie wirkt sich eine hohe Lernbereitschaft im Alter, also wir reden jetzt von lebenslangem Lernen, eigentlich auf die geistige und auf die körperliche Gesundheit aus?

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer: Also ich will mal so sagen: Die hohe Lernbereitschaft im Alter, die kommt ja irgendwo her. Und die kommt vor allem daher, dass man viel in der Jugend gelernt hat. Das ist eine Erkenntnis, die ist relativ neu, dass es nicht darauf ankommt, sozusagen das ganze Leben immer Neues zu machen, damit man dann im Alter, ich sage mal, keiner Demenz unterliegt, sondern dass es so ist, dass man tatsächlich in sehr jungen Jahren sein Gehirn gleichsam auftrainiert und dieses auftrainiert sein dann zur Folge hat, dass man das Gehirn halt viel intensiver benutzt, die ganze Zeit sowieso. Und dass das dann zur Folge hat, dass man im Alter, wenn, dann das Gehirn, durch irgendwelche Krankheiten oder einfach nur durch Altern kaputt geht - das passiert, dass man dann von einer so hohen Fallhöhe kommt, dass das Auftrainieren in jungen Jahren dazu führt, dass man eben mit 150 seine Demenz bekommt, das heißt schon vorher gestorben ist und sie eben nicht bekommt. Und heute weiß man das aus einer ganzen Reihe von Studien, dass das wirklich die Auftrainierung in jungen Jahren ist, die dann darüber letztlich entscheidet, ob man mit 80 dement wird oder nicht.

Martin Hoffmann: Bedeutet das dann, wenn ich also in jungen Jahren, mein Gehirn so auftrainieren kann, wenn ich das nicht tue, dann der Zug abgefahren ist?

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer: Ja, das ist ja der Punkt. Also es gibt auch Daten im Lancet, publiziert im weltbesten Medizinfachblatt "Lancet Commission on Dementia Prevention". Da haben sich dann sozusagen die Koryphäen zusammengesetzt und dann Faktoren identifiziert. Ja, was kann ich denn überhaupt tun? Und wenn man das liest, dann kommt folgendes raus: Das es so ein Dutzend von Faktoren gibt, die kann man beeinflussen und die machen etwa 40 % des Demenzrisikos aus. 60 % ist genetisch, da kann man eh nix ändern. Aber von den 40 %, wo man was ändern kann, da ist zum Beispiel Übergewicht 1 %, Bluthochdruck 2 %. Gehörverlust ist ganz schlimm, weil man, wenn man nicht nichts mehr hört, dann koppelt man sich von der Welt ab und das macht dann so 4 %. Der größte Faktor, der in dieser Studie genannt ist, ist die Bildung in jungen Jahren. Wenn man die nicht hat, hat man ein 7 % höheres Demenzrisiko und wenn man die hat, hat man das eben nicht. Und noch mal das ist wirklich der, das ist der stärkste von der Expertenkommission, der Mediziner genannte Faktor, der schützend vor Demenz wirkt.

Martin Hoffmann: Junge Jahre, müssen wir mal...

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer: ... 0 bis 20 etwa. Unizeit gilt vielleicht auch noch ein bisschen. Aber danach ist es wahrscheinlich eben... ja, ich will nicht sagen gelaufen. Man kann immer als Mensch noch ein bisschen was tun. Und es gibt eben eine Studie, die eben auch zeigt, dass wenn man als 55-jähriger, 55 plus jähriger mehr als 3 1/2 Stunden fern guckt, dann ist jede Extrastunde mit einem erhöhten Demenzrisiko verknüpft. Also man, wenn man es gar nicht benutzt, das Gehirn, sondern sozusagen an den Nagel hängt, dann ist es wirklich nicht gut. Das ist eine große britische Studie, die das ganz klar gezeigt hat.

Martin Hoffmann: Aber das sind natürlich auch, ich sage jetzt mal, schlimme Nachrichten für einige, also dass man sagen kann, leider ist der Zug abgefahren, da kann ich jetzt nichts mehr machen oder relativ wenig machen. Wenn Sie sagen, na ja, also so was wie Übergewicht 1 %, also 1 % ist jetzt wirklich nicht viel, wenn wir...

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer: Nicht trinken 1 %, nicht rauchen 3 %. Also man kann was machen, aber es ist wirklich nicht viel. Sport machen 1 %. 1 %!

Martin Hoffmann: Wahnsinn! Und jetzt so was wie also zum Beispiel Fremdsprachen lernen. Noch mal es sich sich selbst herausfordern auch gerade ich sage es mal Rätsel machen, wo man jetzt erst mal denkt, okay, da werde ich vielleicht besonders gefordert, auch noch mal im Alter...

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer: Also Kreuzworträtsel, Sudoku. Es gibt keinen Hinweis, dass das irgendwas bringt. Oder ich werde immer gefragt: Computertraining? Da gibt es ja auch alles Mögliche, was angeboten wird. Es gibt keinen Hinweis, dass das irgendwas bringt. Muss man leider ganz klar sagen. Also, was alle Leute sagen, ist körperliche Aktivität, geistige Aktivität und soziale Interaktion. Das sind die Dinge, die man auf jeden Fall machen kann. Also einrosten körperlich und geistig ist nicht gut und sich mal neuen Dingen zuwenden ist sicherlich gut, aber die Varianz Aufklärung dieser Dinge, dieser Faktoren ist klein, verglichen tatsächlich mit dem riesigen Effekt von der Bildung, die man in jungen Jahren sich darauf geschafft hat. Also wenn man in die Schule geht, betreibt man Demenzprophylaxe.

Martin Hoffmann: Ist da eigentlich ein Unterschied, ob das jetzt, ich sage es mal intrinsisch motiviert ist, dass ich lerne oder dass es, ich sage jetzt mal über Druck, über Gruppenzwang, über was auch immer?

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer: Über Gruppenzwang lernt sowieso niemand. Also es geht letztlich darum, dass man in jungen Jahren Spaß am Lernen gefunden hat, weil man sich nicht abgewöhnt bekam oder weil man es nicht abgewöhnt bekam von anderen. Und wenn man diese natürliche Neugierde, die jeder Mensch hat, wenn man die in jungen Jahren ausgelebt hat, dann hat man bessere Karten.

Martin Hoffmann: Wie wirkt sich denn Bewegung auf das Gehirn, auf kognitive Fähigkeiten aus? Auch jetzt gerade, in jungen Jahren vielleicht, wenn da dieser größte Effekt zu erzielen ist?

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer: Also Bewegung, das hat man, das weiß man erst seit etwa 15 Jahren, hat denn den den ganz simplen Effekt, dass Nervenzellen nachwachsen. Es gibt bestimmte Gehirnbereiche, die insbesondere für Lernen von Neuem zuständig sind. Der Hippocampus zum Beispiel. Da wachsen auch beim Menschen, auch bei erwachsenen Menschen Nervenzellen nach. Das wissen wir. Und das passiert mehr, wenn man körperlich aktiv ist. Also beim Joggen zum Beispiel. Da werden Wachstumsfaktoren ausgeschüttet, die im Gehirn wirken und da für mehr Nervenzellen sorgen, sodass das beste Gehirn-Jogging ist tatsächlich Jogging, weil beim Joggen eben das Gehirn sozusagen mit neuen Zellen versorgt wird. Die neuen Zellen, das wissen wir auch, die können besser lernen, die können auch schwierigere Sachen erlernen als die alten, die schon da sind. Auch das ist untersucht, so dass man durch körperliche Aktivität tatsächlich dafür sorgen kann, dass man mental fit bleibt, geistig fit bleibt.

Martin Hoffmann: Wie verändert sich denn das Gehirn im Alter? Sie haben vorhin schon gesagt na ja, also jetzt 150 Jahre, dann kommt erst die Demenz. Aber so lange lebt man dann vielleicht nicht. Aber was passiert denn da genau im Gehirn?

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer: Das ist eine sehr gute Frage. Wir beginnen im Grunde genommen erst zu verstehen, was Altern überhaupt ist, denn wir haben immer so das Modell: na ja, man rostet halt oder es geht halt wie beim Auto oder geht auch mal dann das kaputt und das. Und je älter man wird, desto mehr häufen sich die gebrochenen Zahnräder und die gebrochenen Transmissionsriemen oder was auch immer. So mechanistisch darf man es sich nicht vorstellen, weil Altern ein ganz komplexes Geschehen ist und weil es ja Organismen gibt, die nicht altern. Also es gibt ein ganz einfaches Gesetz: Je größer ein Organismus ist, desto länger lebt er. Mäuse leben nicht lange, Eintagsfliegen erst recht nicht lange. Und Elefanten werden eben alt wie Elefanten. Also da gibt es einen Zusammenhang. Aber wir wissen eben auch, dass Altern... dass es Ausnahmen von dieser Regel gibt. Es gibt also zum Beispiel so einen Nacktmull, der lebt in Äthiopien, in Höhlen, der wird, obwohl er klein ist wie eine Maus, wird er 40 Jahre alt. Jetzt kann man gucken, was ist bei dem anders als bei einer Maus zum Beispiel. Und dann kann man bestimmte Gene finden, die für bestimmte Proteine codieren. Wenn man die dann, und das kann man ja heute machen mit der Genschere, bei dem rausschneidet und dann in die Maus reintut, dann wird die Maus älter. Und wichtig ist, dass die nicht einfach, also länger greisenhaft ist, sondern die healthspan, also die Zeit des gesunden Lebens, die wird tatsächlich länger und das ist natürlich faszinierend, wenn sich herausstellt, dass das keine Nebenwirkungen hat, dann möchte ich den sehen, der das nicht für sich will. Wenn man das sozusagen irgendwie reintun kann von außen. Und diese Möglichkeiten, indem man diese Gene in ein Virus einschleust, mit dem man dann den Menschen infiziert, sodass dann die Gene in die Zellen gehen. Also man kann sich auf dieser Beobachtung basierte Therapieverfahren durchaus vorstellen, die gibt's noch nicht. Aber das wird natürlich unseren Umgang mit unserer Begrenztheit, was die Lebensspanne anbelangt, tatsächlich ändern.

Martin Hoffmann: Ich würde gern noch mal über die Gruppe sprechen, die jetzt, ich sage das mal so um die 50, vielleicht auch 60, gerade so ins Rentenalter reinkommen. Irgendwie müssen wir denen doch noch ein bisschen Hoffnung machen können. Also irgendwie doch noch so ein bisschen hier... Wie können die vielleicht doch noch auf diesen Zug aufspringen, dass der doch nicht ganz abgefahren ist?

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer: Also ich denke, man kann den sehr gut Hoffnung machen. Wenn man weiß, dass körperliche Aktivität wirklich Nervenzellen züchtet, dann kann man das ja machen. Man muss da auch nicht mit übertreiben, aber die WHO empfiehlt ja 150 Minuten körperliche Aktivität pro Woche. Also das ist nur wirklich, das sind 20 Minuten am Tag, das ist wirklich nicht viel und da gilt auch leichte körperliche Aktivität. Also ich sage mal, Spazierengehen, bissel schneller, das reicht ja schon. Und das ist wirklich nicht dumm. Wenn das jeder macht und sein Leben entsprechend einstellt, dann, wenn man die Noxen alle weglässt. Also wenn man rauchen und zu viel Trinken weglässt, dann hat man auch schon mal vieles gewonnen. Und das Miteinander ist wichtig. Und wenn man eben weiß, dass die Singlehaushalte zunehmen, die Familienhaushalte entsprechend abnehmen, die Paarhaushalte gleichbleiben, dann ist natürlich die Chance wenig Sozialkontakte zu haben, die nimmt zu. Also Einsamkeit nimmt zu und Einsamkeit ist einer der größten Faktoren für eine Demenzentwicklung und für überhaupt für Mortalität, also der Risikofaktor fürs Sterben ist... Nummer eins ist tatsächlich Einsamkeit. Das ist auch eine Erkenntnis, die ist 2010 zum ersten Mal publiziert. 2005 an 300.000 Leuten, 2015 an 3,5 Millionen repliziert. Einsamkeit ist also vor Rauchen, vor Übergewicht, vor Alkoholismus, vor Bluthochdruck, vor Luftverschmutzung der Hauptfaktor, also der dickste Faktor, der größte Faktor für verfrühte Mortalität, also fürs Sterben. Und wenn man das weiß, dann sollte man es ernst nehmen, dass man Sozialkontakte pflegt, sich trifft und eben nicht nur die Zeit allein vorm Bildschirm verbringt. Also man kann durchaus eine Menge tun, um gesund alt zu werden und vor allem das gesunde Altern zu fördern. Und das ist aktiv Dinge tun und aktiv Dinge vermeiden, die schädlich sind.

Martin Hoffmann: Und da sind wir jetzt auch wieder dabei. Zum Beispiel eine neue Sprache lernen, sich so herausfordern. Schädlich ist es nicht.

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer: Auf jeden Fall. Also ja auch eine neue Weise in ein Gebiet, wo man eben noch nicht war, weil es da was Neues zu erkennen und zu lernen gibt. Das sind alles Dinge, die man durchaus machen kann. Vielleicht noch wichtig. Niemand sollte sich damit quälen. Also ich soll jetzt Chinesisch lernen, dann mache ich das. Und dann quält man sich, quält sich. Also sich selber quälen ist nie gut, sondern das Ganze mit Spaß machen. Da wird man auch überhaupt besser lernen. Und der Spaß also, oder die Freude am Leben, die Macht, dass man länger lebt. Das ist lange bekannt.

Martin Hoffmann: Wie machen Sie das denn persönlich? Was hält Sie persönlich jung?

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer: Och, also erstens bin ich 66 und laufe hier immer noch rum. Und mein Nachfolger, den gibt es noch nicht. Deswegen verlängere ich hier die Zeit so lange, bis mein Nachfolger da ist. Das habe ich jetzt also aktiv entschieden und ich habe vor vier Monaten geheiratet, nachdem ich 17 Jahre lang Single und geschieden war. Und das ist natürlich ein persönliches Glück, was man hat, indem man wieder mal jemanden findet, mit dem das eben geht. Und ich habe sechs Kinder und neun Enkel und gedenke nicht, meine alten Tage allein zu verbringen. Und weil das das Allerwichtigste ist. Und dann bin ich der neugierigste Mensch, den ich kenne. Und ich kenne viele Menschen, von denen bin ich wirklich der neugierigste. Also die neuesten Dinge zur Kenntnis nehmen. Sie versuchen zu verstehen aus den primären wissenschaftlichen Quellen. Ich lese viele medizinische oder viele wissenschaftliche Fachzeitschriften, die wöchentlich rauskommen. Und wenn die Woche rum ist, ist man durch. Und dann lese ich eben auch noch Bücher. Ich glaube, wichtig ist, dass man heute sich nicht jeden Tag im Internet verliert bei der Suche nach irgendwas und auf der Jagd nach irgendwelchen Informationsschnipseln. Das bringt uns nicht weiter. Aber eine Sache mal tiefer durchdringen und dann Einsichten zu haben, das mit dem, was man bislang an Einsichten hat, zu verknüpfen und damit sein Weltbild dauernd, ich sage mal, zu updaten und auch mit neuen interessanten Dingen zu bereichern. Das ist, glaube ich, das, was man geistig tatsächlich tun kann, um sich fit zu halten.

Martin Hoffmann: Professor Spitzer vielen, vielen Dank! Unglaublich viel gelernt. So viele neue Erkenntnisse. Wahnsinn. Danke Ihnen.

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer: Gerne.

Martin Hoffmann: Lebenslanges Lernen beginnt sehr früh. Also bis zum 20. Lebensjahr sollte das Gehirn richtig gefordert werden. Dann ist der Peak erreicht. Und ich muss sagen, das hat mich schon überrascht. Um nicht zu sagen, es hat mich schockiert, was Professor Spitzer da erzählt hat. Über die Rolle von Bewegung möchte ich aber noch mehr wissen. Gerade weil Sport ja nicht nur den Körper fitter macht, sondern eben auch Auswirkungen auf die kognitiven Fähigkeiten hat. Gerade wenn man neue Bewegungsmuster und Sportarten erlernt, also einfach Neues ausprobiert. Ich bin jetzt grad in Ettlingen angekommen. Auto ist geparkt und ich bin jetzt hier mit Professor Dr. Bloss verabredet und er hat gemeint, ich soll einfach mal Richtung Haus laufen und dann werde ich ihn das schon irgendwo sehen. Er kommt gerade von seiner Sportrunde. Ich glaube, er war laufen oder Nordic Walking. Ganz so genau hat das nicht gesagt. Aber ich gucke mal nach vorne, da sehe ich ihn schon. Professor Dr. Bloss. Hallo. Habe ich Sie gerade auf der Sportrunde erwischt?

Prof. Dr. Hans Andreas Bloss: Ja, genau. Ich habe gerade meine Nordic Walking gemacht.

Martin Hoffmann: Sehr schön. Und fürs Gespräch können wir reingehen, oder? Ist doch ein bisschen angenehmer.

Prof. Dr. Hans Andreas Bloss: Genau, da gehen wir rein in die Wohnung und dann können wir alles sozusagen im Einzelnen gut besprechen.

Martin Hoffmann: Super. Dann vielen Dank. Dann gehen Sie doch einfach mal vor. Sie wissen, wo es langgeht.

Prof. Dr. Hans Andreas Bloss: Okay. Und jetzt gehen wir hier rein.

Martin Hoffmann: Herr Bloss, man kann ja verraten: sie sind 84 Jahre alt.

Prof. Dr. Hans Andreas Bloss: 85.

Martin Hoffmann: 85?

Prof. Dr. Hans Andreas Bloss: 85 1/2.

Martin Hoffmann: 85 1/2 sogar schon? Sehen Sie, Sie sind topfit. Wenn ich das mal so sagen darf. Wenn ich Sie jetzt hier sehe...

Prof. Dr. Hans Andreas Bloss: Nicht ganz. Nein, nicht ganz. Ich bin viel zu viel gejoggt. Ich bin hab 20 Jahre lang gejoggt. Fast jeden Tag eine Stunde oder noch mehr. Und da habe ich mir sozusagen meine Gelenke strapaziert, ruiniert. Bzw. Ich kann nicht mehr so viel joggen bzw. nur mehr also Nordic Walking kann ich eine halbe Stunde machen, aber länger nicht.

Martin Hoffmann: Welche Rolle spielt da Krafttraining noch?

Prof. Dr. Hans Andreas Bloss: Man sollte natürlich neben dem, das ist meine grundsätzliche Einstellung, neben dem sogenannten Ausdauertraining, das ja wichtige Wirkungen hat, sollte man auf jeden Fall Krafttraining und Stretching machen.

Martin Hoffmann: Das ist aber jetzt auch schon ganz schön ambitioniertes Programm, oder?

Prof. Dr. Hans Andreas Bloss: Nein, ist es nicht. Das würde ich nicht sagen. Also wenn man zwei- bis dreimal in der Woche á 30 Minuten Ausdauertraining macht, Montag, Mittwoch und Freitag zum Beispiel, dann kann man Dienstag und Donnerstag Krafttraining machen. Eine 1/4, halbe Stunde mehr braucht man gar nicht zu machen.

Martin Hoffmann: Und dann kommt noch Stretching dazu.

Prof. Dr. Hans Andreas Bloss: Stretching ist normalerweise vor dem Krafttraining und nach dem Krafttraining. Das gehört zur Einheit Krafttraining.

Martin Hoffmann: Ich wollte jetzt eigentlich fragen, dass Sie mir Ihr Geheimnis verraten, aber eigentlich haben Sie das Geheimnis ja gerade auch verraten. Sie haben es ja auch in Ihrem neuen Buch noch mal nochmal beschrieben. Das ist wirklich die... Wir reden jetzt hier von eigentlich fast täglich Sport. Ist es das? Also täglich bewegen, täglich den Körper irgendwie fordern, neu fordern?

Prof. Dr. Hans Andreas Bloss: Ja, also tägliches Training mache ich eigentlich seit 15, 20 Jahren nicht mehr. Das heißt also, ich mach jeden zweiten Tag Sport und da muss man unterscheiden bei den Sportarten. Es gibt nur etwa fünf Ganzkörpersportarten: Rudern, Skilanglauf, Nordic Walking, Schwimmen und dann das Training auf Fitnessgeräten. Wenn man dagegen zum Beispiel nur Joggen macht, dann tut man zu wenig für die Kraft.

Martin Hoffmann: Jetzt haben Sie gerade gesagt, Sie sind 85 1/2. Das ist ja so, ich sage es mal, das biologische Alter. Wie alt fühlen Sie sich denn?

Prof. Dr. Hans Andreas Bloss: Also, das ist eine schwierige Frage, aber ich fühle mich ungefähr wie 70, sagen wir mal vom Fitnesszustand her. In der Regel würde ich sagen, wenn man Training macht, dann kann man ungefähr 15 bis 20 Jahre lang, das sagen die neuesten wissenschaftlichen Untersuchungen, sich jünger fühlen. Also man fühlt sich dann jünger und man muss natürlich am Ball bleiben. Man muss praktisch permanent etwas tun. Aber es ist nicht so, dass man jeden Tag etwas tun muss, jeden zweiten Tag. Ausdauer oder Krafttraining.

Martin Hoffmann: Warum würden Sie sagen, ist es sinnvoll? Oder ist es überhaupt sinnvoll, jetzt im Alter auch noch mal neue Bewegungsformen zu lernen, neue Sportarten vielleicht auszuprobieren?

Prof. Dr. Hans Andreas Bloss: Das ist sehr, sehr wichtig. Man wird ja sozusagen gefordert und die Neurogenese spricht ja davon, dass so neue Nervenzellen entwickelt werden, sonst, wenn man sich nicht bewegt, nur auf der Couch sitzt, da sterben die ab. Aber der Sport wirkt wie ein Dünger für die Nervenzellen im Gehirn.

Martin Hoffmann: Gerade dieses etwas Neues ausprobieren, dieses neugierig bleiben auf was anderes, was man vielleicht nicht kann. Irgendwie so was wie fordert das denn einen noch mal?

Prof. Dr. Hans Andreas Bloss: Im Bereich des körperlichen Trainings ist das Neue nicht so wichtig wie in der geistigen Auseinandersetzung. Also ich lese sehr viel, ich schreibe nach wie vor und die Hauptarbeit erfolgt an dem Schreibtisch.

Martin Hoffmann: Das heißt auch die Tatsache, Sie sind ja Autor, schreiben verschiedene Bücher, das machen Sie auch bewusst, um sich selbst noch mal, ich sage es mal auch geistig noch mal herauszufordern?

Prof. Dr. Hans Andreas Bloss: Auf jeden Fall. Ich finde das sehr wichtig, neben dem körperlichen Training, körperliches Training sehr wichtig, das ist sozusagen die Basis. Aber daneben muss man auch noch irgendwie Zeit haben für Entspannung, für Lesen, Schreiben, Meditation. Vielleicht auch, um das umfassend in den Griff zu bekommen.

Martin Hoffmann: Das kann man ja auch perfekt, ich sage jetzt mal, in diesen sportfreien Regenerationsphasen dann ja machen.

Prof. Dr. Hans Andreas Bloss: Genau in den Regenerationsphasen. Obwohl ich die nicht für so wichtig halte wie in der Jugend. Die sind sehr wichtig im Leistungssport die Regenerationsphasen. Aber als älterer Mensch mache ja keinen Leistungssport, sondern ich mache einen Sport, der mich fordert, aber aber nicht überfordert.

Martin Hoffmann: Wie findet man da die richtige Grenze?

Prof. Dr. Hans Andreas Bloss: Das ist, glaube ich, ein sehr wichtiger Punkt. Muss man schon sagen. Am Beispiel Ausdauertraining mache ich das mal, Ausdauertraining ist ja die Basis, so quasi Herz- Kreislauf-Training. Da gibt es drei Grundsätze, die Trias nenne ich das. Erst mal die Dauer des Trainings, die Intensität und dann praktisch die Häufigkeit. Die Dauer sollte man, wenn man älter wird, ungefähr bei 30 bis 45 Minuten belassen.

Martin Hoffmann: Aber als Ziel, nicht als: Ich fange jetzt als Neuling total an

Prof. Dr. Hans Andreas Bloss: Als Ziel genau. Nicht beim Einstieg, sondern beim Einstieg muss ich langsam anfangen. Langsam auch trainieren als Ziel 30 bis 45 Minuten, das reicht dreimal in der Woche. Dann die Intensität des Trainings. Das ist sehr wichtig, dass man da sich nicht übernimmt und unterfordert. Also wenn man zum Beispiel nur gelegentlich spazieren geht, also sagen wir, die dreimal ganz gemütlich durch die Gegend schleicht, dann bringt das zu wenig und zu wenig, bringt dann zu wenig um für die Herzförderung, für die Förderung des Herz-Kreislauf-Systems. Das muss ja stabilisiert werden bzw. Gefördert werden. Und der dritte Aspekt ist sozusagen die Häufigkeit, die Häufigkeit. Das heißt, ich muss, egal ob ich im Winter trainiere, ob ich im Sommer trainiere, ob ich bei Regenwetter trainiere oder bei Sonnenschein. Minimum ist zweimal die Woche, das heißt also Dienstag und Donnerstag. Aber besser ist dreimal die Woche, Montag, Mittwoch und Freitag Ausdauertraining. Nach dieser Formel, die Trias Formel, das ist das A und O.

Martin Hoffmann: Jetzt haben wir viele Sportarten schon besprochen. Nordic Walking, wir haben über Langlauf gesprochen oder einfach nur Spazierengehen und Krafttraining. Wo würden Sie denn sagen, welche Sportart trainiert denn die Gehirnleistung am besten im Alter?

Prof. Dr. Hans Andreas Bloss: Mit Sicherheit am besten Ganzkörpersportarten. Das heißt, in einer Bewegungsdurchführung. Zum Beispiel Skilanglauf oder Rudern oder das Nordic Walking ist ja auch eine Ganzkörpersportart, dass die am besten geeignet sind, um das Gehirn auch entsprechend zu fördern. Aber entscheidend ist das Ausdauertraining, das praktisch den ganzen Körper trainiert, die Blutversorgung, die Anspannung, Entspannung. Und das muss regelmäßig gemacht werden. Regelmäßig, immer bis zum letzten Tag. Kann man nicht anders formulieren.

Martin Hoffmann: Welche Rolle spielt denn Spaß beim Sport? Macht Ihnen Sport noch Spaß?

Prof. Dr. Hans Andreas Bloss: Na gut, das ist sehr wichtig beim Sport. Es ist eine. Eine eine Gewohnheit, die zum Spaß wird. Man muss praktisch im Alter eine Sportart finden, die einem Spaß macht. Und da kann man auch verschiedene Sportarten ausprobieren.

Martin Hoffmann: Sie sagen gerade Sportarten ausprobieren. Jetzt kommen ja immer wieder neue Sportarten dazu. Wir bleiben ja nicht bei dem Pool an Sachen, die wir haben, sondern neue Sportarten. Reizt es Sie manchmal, so was auszuprobieren?

Prof. Dr. Hans Andreas Bloss: Nein Das reizt, mich eigentlich nicht mehr. Das reizt mich nur das anzuschauen und vielleicht mal nachzuprobieren. Bei mir ist das so zur Gewohnheit geworden, dass ich zwei-, dreimal in der Woche Sport mache. Und da fühle ich mich wohl dabei. Und entscheidend ist schon dabei, dass man merkt, man blüht auf durch den Sport. Man spürt an sich selber, dass man sich jünger fühlt.

Martin Hoffmann: Herr Bloss. Vielen, vielen Dank. Sie sind übrigens auch ein sehr guter Motivator. Ich habe das Gefühl, ich muss mehr machen. Ich werde es probieren. Danke schön.

Prof. Dr. Hans Andreas Bloss: Sehr schön. Danke.

Martin Hoffmann: Ich muss sagen, das Gespräch mit Professor Spitzer hängt mir noch ganz schön nach. Wer im Alter noch kognitiv so richtig leistungsfähig sein möchte, der muss früh anfangen. Was man bis zum 20. Lebensjahr verpasst hat, lässt sich nicht mehr aufholen. So hat er es gesagt. Trotzdem hilft es natürlich, neugierig zu bleiben, neue Dinge zu lernen, zu reisen und vor allem sich zu bewegen. So lässt sich das Altern wenigstens etwas verlangsamen. Sagt mal, wie geht es euch nach der Folge? Seid ihr ernüchtert oder eher optimistisch? Danke auf jeden Fall, dass sie bis hierhin zugehört habt. Wenn ihr gerne mehr Informationen über lebenslanges Lernen haben möchtet, dann kann ich euch unsere Shownotes empfehlen. Hier findet ihr viele Links und auch weitergehende Informationen zu unseren Gästen. Und natürlich lohnt sich auch ein Blick auf unseren Instagram-Kanal @gesundnah. Hier könnt ihr gerne Fragen, Anregungen und Themenvorschläge an uns schicken. Außerdem sind natürlich Bewertungen und Kommentare eine feine Sache. Wir freuen uns, wenn ihr das nächste Mal wieder dabei seid. Ich bin Martin Hoffmann. Wir hören uns.

Outro: GESUNDNAH - der Gesundheitspodcast der AOK Baden-Württemberg.

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