#13 Lebensrettend: Gendern in der Medizin

Shownotes

Bis in die 90er Jahre wurden Medikamente fast ausschließlich an Männern getestet. Welche Folgen das für die Gesundheit von Frauen hat, erfährt Moderator Martin Hoffmann von zwei Expertinnen für geschlechtsspezifische Medizin.

Weitere Informationen zu diesem Thema findet ihr bei der Deutschen Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin e. V.: https://www.dgesgm.de/

Im Interview mit der AOK spricht Ärztin Dr. Angela Smith über das Forschungsgebiet der Gendermedizin: https://www.aok.de/pk/magazin/koerper-psyche/stoffwechsel/gendermedizin-was-ist-das/

Informationen zur genannten Studie „Geschlechtersensible Prävention in verschiedenen Lebensphasen (GePL)“ erhaltet ihr hier: https://www.medizin.uni-tuebingen.de/en-de/das-klinikum/einrichtungen/institute/allgemeinmedizin/forschung/forschungsprojekte/gepl

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Intro: Unterwegs für die Gesundheit GESUNDNAH – der Podcast der AOK Baden-Württemberg.

Martin Hoffmann: Du hast ein Stechen in der Brust, Schmerzen, die in den linken Arm reinziehen, dazu noch kalter Schweiß. Die Anzeichen kennen wir alle: es könnte ein Herzinfarkt sein. Also sofort den Notarzt rufen. Aber würdest du das auch bei Übelkeit, Schulter- und Kieferschmerzen machen? Wahrscheinlich eher nicht, oder? Aber genau das sind bei Frauen typische Symptome für einen Herzinfarkt. Wenn der nicht erkannt wird, kann das schlimme Folgen haben. Bis in die 1980er Jahre diente ausschließlich der männliche Körper als medizinisches Modell. Man ist davon ausgegangen, dass die biologischen Prozesse im Körper von Mann und Frau sich gleichen. Bis in die 90er Jahre, und das muss man sich wirklich mal vorstellen, wurden Medikamente fast ausschließlich an Männern getestet. Zwar waren auch immer schon Frauen an den Studien beteiligt, aber nur etwa zu 30 %. Ich bin Martin Hoffmann, und heute beschäftigen wir uns mit dem Thema Gendermedizin. Oder wie es ganz korrekt heißt, Geschlechtsspezifische Medizin. In der Recherche habe ich gelesen, dass selbst die Tierversuche bei der Entwicklung von Medikamenten fast ausschließlich mit männlichen Mäusen gemacht werden. Hintergrund ist hier der weibliche Hormonzyklus, der die Testergebnisse beeinflussen könnte. Und genau das ist einer der offensichtlichen Unterschiede zwischen dem biologisch weiblichen und biologisch männlichen Körper, der so lange nicht beachtet wurde. Der Wandel weg von der Geschlechtsunabhängigkeit in der Medizin ist essenziell, denn bislang weiß man relativ wenig, zum Beispiel über geschlechtsspezifische Unterschiede in der Wirksamkeit von Medikamenten. Und genau dem will ich heute nachgehen. Ich bin jetzt in Tübingen. In der Uniklinik treffe ich gleich Frau Dr. Hannah Haumann. Sie ist Fachärztin für Allgemeinmedizin und stellvertretende Institutsleiterin. Einer der Schwerpunkte in ihrer Forschung ist die geschlechtsspezifische Medizin. So, ich bin jetzt in Tübingen, in der Osiander Straße, im Institut für Allgemeinmedizin und interprofessionelle Versorgung. Hoch in den ersten Stock. Und hier treffe ich jetzt Frau Dr. Hannah Haumann. Ich muss mir grad schauen. Raum 215. Hier müsste es sein. Hallo, Frau Dr. Hoffmann.

Dr. Hannah Haumann: Hallo Herr Hoffmann. Grüße Sie, schön, dass Sie da sind.

Martin Hoffmann: Freut mich auch sehr. Frau Dr. Haumann, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Was genau versteht man denn eigentlich unter geschlechtsspezifischer Medizin? Was ist das?

Dr. Hannah Haumann: Geschlechtsspezifische Medizin ist letztlich die Medizin, die davon ausgeht, dass es sowohl bei den Häufigkeiten von Krankheiten, aber auch bei ihrer Entstehung, bei dem, wie sie sich präsentieren, also bei den Symptomen, bei den Beschwerdebildern und dann auch später im Verlauf und in der Therapie natürlich einen Einfluss des Geschlechts gibt. Zunächst mal des biologischen Geschlechts, das heißt der Kategorie männlich und weiblich. Aber die geschlechtsspezifische Medizin geht darüber hinaus und sagt eben auch, dass soziokulturelle Geschlechtsmerkmale auch dazu führen, dass Menschen sich unterschiedlich im Gesundheitssystem beispielsweise verhalten. Das heißt, dass es auch Interaktionen im Gesundheitssystem gibt, die nicht nur das biologische Geschlecht da einen Einfluss zu sehen ist, sondern dass eben auch gelernte Geschlechterrollen und Geschlechteridentitäten einen Einfluss darauf haben, wie Medizin gelebt wird und was das mit den Menschen macht, die im Gesundheitssystem, ich sage jetzt mal im weitesten unterwegs sind.

Martin Hoffmann: Was genau wird denn in dieser Fachrichtung untersucht? Was ist da der Forschungsgegenstand?

Dr. Hannah Haumann: Der Forschungsgegenstand ist ganz breit. Eigentlich ist letztendlich die gesamte Medizin. Historisch betrachtet kann man so in die 90er zurückgehen. Da gab es in den USA so die erstmalige Erwähnung des Begriffes und es gab dann eben auch sogenannte Yentl-Syndrom. Das war eine Frau Healy, die sich da Gedanken dazu gemacht hat und eben erstmals sozusagen beschrieben hat, dass es einen Unterschied gibt in der Präsentation und in der Behandlung von Herzinfarkten bei Männern und Frauen. Und es gab sozusagen in der ersten Zeit dann erst mal einen starken Fokus auf das Thema Frauen in der Gesundheitsversorgung. Und es hat sich dann eben jetzt wirklich weiterentwickelt, dass man sagen kann, also wir wollen wirklich alle Geschlechter in allen Ausprägungen männliche, weibliche, aber auch diverse Menschen damit berücksichtigen. Das heißt, angefangen hat alles so mit den kardiovaskulären Erkrankungen, Klassiker, Herzinfarkt. Da wissen wir ja beispielsweise, dass Frauen andere Symptome verspüren können als Männer. Also das klassische Schmerzen in der Brust, Ausstrahlung in den linken Arm ist bei Frauen nicht immer so, Frauen haben diffusere Symptome, beispielsweise einfach ein diffuses Unwohlsein oder Oberbauchschmerzen. Also wir sind da noch in einer jungen Forschungsdisziplin. Deshalb würde ich sagen, eigentlich ist es ein Thema für alle medizinischen Bereiche.

Martin Hoffmann: Jetzt haben Sie gesagt, so in den in den 90ern, Ende der 90er ungefähr ging das los. Ich habe jetzt vorher gelesen, so, ich sage jetzt mal, bis Mitte der 80er, Anfang der 90er war die medizinische Forschung fast ausschließlich auf den männlichen Körper fokussiert. Warum war das so? Also warum hat man sich da wirklich komplett auf dieses, ich sage jetzt mal, maskuline Modell gestützt?

Dr. Hannah Haumann: Ja, also ich glaube, es geht ja auch darum, zunächst auch mal anzuerkennen, dass es ja biologische Unterschiede gibt. Das hat was damit zu tun, wie sind die Körper gebaut? Das heißt, was haben wir zum Beispiel für Körperzusammensetzungen, Körperfettanteile? Was für eine enzymatische Ausstattung bringen Männer und Frauen mit? Was für hormonelle Einflüsse gibt. Sie haben zunächst den weiblichen Zyklus, der einen Einfluss darauf hat, wie die Biologie von Frauen ist. Dann haben wir eventuelle Schwangerschaften, die natürlich auch noch mal hormonell einen großen Unterschied machen. Und dann kommen wir in die Phase der Menopause, die sich auch noch mal deutlich davon unterscheidet, wie es bei prämenopausalen Frauen einfach von den Hormonen her ist. Und deshalb ist es natürlich ein Stück weit komplizierter, Frauen zu betrachten.

Martin Hoffmann: Also genau da habe ich mein Problem, muss ich sagen, weil weibliche Zyklus, der ist ja nicht erst seit den 80ern bekannt. Also man weiß das ja alles, und die Medikamente zum Beispiel, die man dann auch einer Frau gibt, die vielleicht gerade hormonell anders aufgestellt ist, das ist natürlich doch dann total schwierig, also wenn man gar nicht weiß, wie wirken eigentlich die Medikamente, wie hat man das gemacht? Oder hat man dann einfach gesagt: Na ja, die sind einfach gleich und wir gucken einfach mal, wie die Nebenwirkungen sind?

Dr. Hannah Haumann: Ich würde mal sagen, dass es auch eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung ist. Also es ist ja nicht der einzige Bereich, wo wir sehen, dass wir da hingucken müssen, was macht es und eben diese unterschiedlichen Lebenswelten auch anzugucken. Ich glaube, das ist noch mal ein ganz wichtiger Punkt in dem Thema. Es geht ja auch nicht nur darum, jetzt rein auf den biologischen, wie ist der Zyklus, sondern es geht ja darüber hinaus also auch das, was wir als soziokulturelles Geschlecht erlernen, macht was damit, wie wir Symptome wahrnehmen. Ich meine, wir müssen uns auch vor Augen halten, dass das gesamte Thema Repräsentation von Frauen und Repräsentativität von Frauen und Männern und auch diversen Menschen einfach in den letzten Jahren mehr und mehr in den Fokus gerückt ist. Und so würde ich das jetzt auch betrachten. Natürlich sind die Regulatorien auch nachgezogen. Es ist schon so, dass wir das ja auch unter dem Schlagwort Gender Data Gap diskutieren, dass es eben keine ausgewogene Repräsentation gibt, aber es jetzt zumindest auch von den regulatorischen Seiten herbei, beispielsweise für Arzneimittelstudien, so ist das schon gefordert wird, dass es zumindest auch bei den binären geschlechtseinteilungen Mann Frau auch gefordert wird, dass Daten vorgelegt werden.

Martin Hoffmann: Warum würden Sie denn sagen, ist es so wichtig, das Geschlecht noch mal zu betrachten in der Medizin?

Dr. Hannah Haumann: Ich habe schon über die biologischen Unterschiede gesprochen. Ich glaube, erst mal geht es wirklich darum, das anzuerkennen, dass es diese biologischen Unterschiede gibt, dass das etwas ist, was beispielsweise die Pharmakokinetik und auch Pharmakodynamik beeinflusst und damit uns schon auch jetzt, wenn wir an Arzneimitteltherapien denken, einfach die Frage aufkommt Können wir eben Medikamente gleich bei Männern und Frauen einsetzen? Und dann die Frage natürlich auch: Wie müssen wir das Gesundheitssystem auch entwickeln, damit die gesundheitliche Versorgung von allen Geschlechtern, und da schließe ich jetzt gerade auch die diversen Menschen mit ein, gelingt, weil wir eben wissen, und das hatte ich ja vorhin auch schon mal so ein bisschen angerissen, dass das soziale Geschlecht eben was damit macht. Wie nehme ich gesundheitliche Leistungen in Anspruch? Das heißt, warum verhalten sich denn Menschen unterschiedlich in Bezug auf ihre Gesundheit? Und ich glaube, dass das Geschlecht eben sehr viel, gerade das soziokulturelle Geschlecht, durch diese Lebenswelten geprägt wird.

Martin Hoffmann: Jetzt haben Sie auch den Herzinfarkt vorhin auch angesprochen, unterschiedliche Symptome hatte ich, so muss ich gestehen, auch nicht so richtig auf dem Schirm. Gibt es noch andere Krankheitsfälle, die so ganz, ganz unterschiedliche Symptome haben? Wo wir, sage ich mal, die weibliche Ausprägung gar nicht auf dem Schirm haben. Gibt es da was?

Dr. Hannah Haumann: Schwierig. Ich glaube, der Herzinfarkt ist schon der richtige Klassiker. Aber wir könnten zum Beispiel auch noch mal das Thema Depression in den Fokus nehmen, was ja auch ein wichtiges Thema ist in unserer Gesellschaft. Da ist es eher so, dass halt Männer, da würde ich jetzt eher ein bisschen auf die Männer gucken, Was unterscheidet sie vielleicht von den Frauen? Wir wissen schon, dass Männer mit Depressionen zum Beispiel ein höheres Risiko haben, dass sie die Depression kompensieren, beispielsweise durch Suchtverhalten. Aber ich würde es so sagen Der Herzinfarkt ist sicher so der Klassiker, und da müssen wir natürlich dahin gucken, was es häufiger. Also was ist per se häufiger? Stichwort zum Beispiel rheumatische Erkrankungen, die sind einfach häufiger bei Frauen rheumatoider Arthritis als Beispiel oder auch Ostheoprose als klassische Erkrankungen, die häufiger sind, insbesondere bei den älter werdenden Frauen.

Martin Hoffmann: Gerade das habe ich mir auch gedacht. Wenn jetzt solche rheumatischen Erkrankungen bei Frauen häufiger sind und dann wurden eigentlich die Medikamente an Männern getestet. Naja, lassen wir das an der Stelle. Zu den Medikamenten hätte ich noch eine Frage Wie sieht es denn mit Nebenwirkungen aus? Weil da habe ich auch gelesen, die können ja auch dann sehr, sehr unterschiedlich ausfallen.

Dr. Hannah Haumann: Genau. Also ich hatte ja schon gesagt, dass alleine durch die Biologie eben gerade das Thema Pharmakokinetik, Pharmakodynamik also wie verteilen sich Wirkstoffe im Körper, wie werden sie verarbeitet, das heißt wie schnell werden sie aufgenommen? Erstmal dann verstoffwechselt und dann abgebaut. Dass es da eben Unterschiede gibt und dass wir so ganz Pi mal Daumen sehen, dass es also die Arbeiten zeigen so etwa 1,8-fach erhöhtes Risiko bei Frauen in allen Altersgruppen für unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Das hat sicherlich auch ein bisschen was damit zu tun, dass wir natürlich wissen, dass ein Großteil der Medikamente, die wir zur Verfügung haben, als diese Medikamente in den frühen Zulassungsstudien waren, hatten wir primär Männer als Probanden, dass wir da schon auch sehen, dass es Unterschiede gibt. Ich sage mal, so vieles haben wir jetzt natürlich im Nachhinein analysiert. Wir haben eben auch da gesehen, dass wie beispielsweise ACE-Hemmer oder Betablocker, die ja für Bluthochdruck oder auch Herzinsuffizienz eingesetzt werden, dass es schon Hinweise darauf gibt, dass beispielsweise diese maximalen Wirkdosierungen, die wir einsetzen, bei Frauen etwas niedriger sind als bei Männern und bei den ACE-Hemmern jetzt noch im spezifischen, dass wir da auch eine klassische Nebenwirkung ist der Reizhusten, so ein trockener Husten, das ist halt bei Frauen einfach häufiger ist als bei Männern.

Martin Hoffmann: Jetzt sind sie ja Teil eines Forschungsprojekts zusammen mit der mit der AOK und mit der Universität Heidelberg. Sie dann von Seiten der Universität Tübingen. Was ist denn genau der Gegenstand? Was wird genau erforscht in dem Projekt?

Dr. Hannah Haumann: Also seit 2019 gibt es dieses Kooperationsprojekt mit dem Titel "Geschlechtersensible Prävention in verschiedenen Lebensphasen". Letztlich wollen wir uns in dem Projekt der Frage widmen Welche geschlechtsspezifischen Unterschiede gibt es jetzt in Hinblick auf verschiedene Erkrankungen? Ich komme aus dem Institut für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung am Universitätsklinikum in Tübingen. Das heißt, wir wollen uns schon auch den Erkrankungen widmen, die im hausärztlichen Sektor relevant sind, die wir häufig dort sehen. Und wir wollen mit dem Forschungsprojekt letztlich darüber erst mal Erkenntnisse gewinnen. Gibt es Unterschiede? Wie sind die ausgeprägt? Und dann daraus natürlich zum einen für die medizinische Ausbildung, aber auch die Fortbildung und Weiterbildung, diese Erkenntnisse weitergeben und dann natürlich auch gemeinsam mit der AOK eben Ansatzpunkte dafür entwickeln, wie wir die Versorgung weiterentwickeln können.

Martin Hoffmann: Wie sieht es denn mit Ergebnissen aus? Das Forschungsprojekt läuft ja schon ein paar Jahre... So erste Ergebnisse?

Dr. Hannah Haumann: Vielleicht kann man dazu noch mal sagen, wir sind jetzt im dritten Teil Projekt. Wir haben angefangen mit der chronischen Niereninsuffizienz als Thema. Es war so das allererste Thema. Das ist ja eine Erkrankung, die vor allem auch im Alter auftritt. Und dann haben wir beispielsweise gesehen, dass wir grundsätzlich bei Frauen etwas häufiger diese chronische Niereninsuffizienz sehen aber, dass es interessant ist, dass die Männer in einem früheren Stadium diagnostiziert werden als die Frauen, und dass wir dann auch gesehen haben, dass die Frauen etwas eine höhere Tendenz dazu hatten, dass bei Frauen auch Medikamente gegeben wurden, die eigentlich in diesem Kollektiv als nicht ideal beschrieben worden. Es gibt viel Forschung dazu, welche Medikamente beispielsweise im Alter nicht mehr ideal sind aufgrund des Nebenwirkungen Spektrums. Und da konnten wir eben sehen, dass gerade aus der Gruppe dieser Medikamente Frauen häufiger Verordnungen bekamen. Wir haben auch gesehen, dass interessanterweise Frauen mit chronischer Niereninsuffizienz weniger häufig ins Krankenhaus kam, aber dass Männer, die diese Erkrankung haben, in Bezug auf die kardiovaskulären Ereignisse etwas höher lagen, auf das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse, aber jetzt in Bezug auf die gesamte Mortalität eigentlich kein wesentlicher Unterschied war.

Martin Hoffmann: Ich weiß es immer schwierig, so eine Prognose zu wagen, mal in die Zukunft zu schauen. Was glauben Sie denn, wie lange wird es dauern, bis das eigentlich kein Thema mehr in der Medizin ist, sondern bis wir sagen: Okay, nein, eigentlich, da sind wir komplett ausgeglichen aufgestellt. Wir müssen das eigentlich gar nicht mehr so richtig mitdenken, sondern dass es automatisch in den Köpfen etabliert.

Dr. Hannah Haumann: Ich glaube, es wird noch ein bisschen dauern, aber ich kann Ihnen die Glaskugel, wenn ich sie schütteln könnte, ich habe sie nicht da. Also was wir schon sehen, ist die Anzahl der Publikationen zu dem Thema steigt. Ich hatte es schon gesagt, auch regulatorische Vorgaben verändern sich dahingehend, wenn wir Leitlinien angucken. Also Leitlinien sind ja ein Instrument, wie sich solche Forschung dann in die Versorgung bringen lässt. Und wenn wir das angucken, dann sehen wir, so gibt es eine Arbeit aus 2017, die zum Beispiel zeigt, dass so etwa 1/4 der Leitlinien geschlechtsspezifische Aspekte berücksichtigt. Also auch da haben wir noch viel Potenzial nach oben. Und es gibt jetzt schon auch Ansätze, dass wir sagen, also dass es eben beispielsweise eine Forderung gibt, dass man einfach auch noch mal in der Wissenschaft stärker darauf achtet, dass wir Aspekte von Sex und Gender, also von biologischen und vom soziokulturellen Geschlecht, stärker integrieren, diese auch nicht nur dann angucken, wenn wir schon die Daten vorliegen haben. Also wir machen eine große Studie und dann gucken wir uns hinterher an, ah ja, gab es eigentlich Unterschiede zwischen Männern und Frauen? Wobei wir uns vorher nicht überlegt haben, wie müssten wir denn die Geschlechter verteilen in dieser Studie? Also es geht ja nicht nur darum, dass es eine 50/50 Repräsentation gibt oder Repräsentativität, sondern es geht ja auch um die Frage Wenn ich eine Erkrankung habe, von der ich weiß, dass sie bei Frauen viel, viel häufiger ist. Natürlich muss ich dann diese Therapien oder andere therapeutische oder diagnostische Maßnahmen natürlich auch in diesem Kollektiv mit einer entsprechenden ausgeglichenen Stichprobe untersuchen. Also klassisches Beispiel Medikamente für postmenopausale Frauen. Natürlich brauche ich dann auch die postmenopausalen Frauen in meiner Studie, sonst macht das Ganze ja keinen Sinn und ich glaube, dass wir uns dahin bewegen. Da gibt es jetzt wirklich gute Impulse. Aber ich kann Ihnen jetzt auch nicht sagen, ob wir jetzt über Jahre oder Dekaden reden. Ja, es ist sehr viel im Fluss. Auch die medizinische Forschung verändert sich, und ich denke, dass wir auf einem guten Weg sind.

Martin Hoffmann: Und vielleicht kommt ja auch jetzt noch eine neue Generation Medizinerinnen, Mediziner noch mal nach, die vielleicht auch ja diverse aufgestellt sind, die dann natürlich dann auch mal ein ganz anderes gesellschaftliches Bild oder einen gesellschaftlichen Hintergrund.

Dr. Hannah Haumann: Die das anders einfordert auch sicherlich. Wir sehen natürlich, dass es schon Trend gibt, dass die Medizin weiblicher wird. Also wir haben einfach eine Zunahme an weiblichen Studierenden, aber auch jetzt Absolventinnen und das verändert natürlich das auch, wie wir insgesamt arbeiten und welche Fragen wir uns auch stellen, das ist sicher richtig.

Martin Hoffmann: Frau Dr. Haumann, vielen, vielen Dank. Unglaublich spannende Einblicke. Danke schön.

Dr. Hannah Haumann: Sehr gerne.

Martin Hoffmann: Der biologisch weibliche Körper wurde also bis in die 90er Jahre aus medizinischer Sicht vernachlässigt, um nicht zu sagen komplett vergessen. Um mehr über die medizinisch relevanten Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu erfahren, fahr ich jetzt nach Heidelberg. In der Uniklinik treffe ich Frau Dr. Alexandra von Au. Sie ist Gynäkologin und Oberärztin in der Frauenklinik. So, hier müssen wir eigentlich richtig sein. Ich klopf mal ganz kurz. Zimmer 126. Hallo, Frau Doktor von Au.

Dr. Alexandra von Au: Ja, Hallo, Herr Hoffmann. Schön, dass Sie da sind.

Martin Hoffmann: Gemütlich haben Sie sich hier eingerichtet.

Dr. Alexandra von Au: Vielen Dank. Kommen Sie rein.

Martin Hoffmann: Ich habe jetzt schon unglaublich viel über Geschlechterspezifische Medizin gelernt. Frau Dr. Alexandra von Au. Sie sind Gynäkologin. Was versteht man eigentlich unter dem Begriff Frauengesundheit?

Dr. Alexandra von Au: Die Frauengesundheit ist letztendlich der Bereich der Medizin, der sich speziell mit den Belangen der Frau beschäftigt. Einerseits natürlich Gesundheit in dem Sinne Was kann man tun, um die Frauen möglichst optimal gesund zu halten? Und auf der anderen Seite natürlich auch Krankheiten, die zum einen bei Frauen zum Beispiel häufiger auftreten als bei Männern oder aber auch Krankheiten, die speziell nur bei Frauen auftreten, wie beispielsweise Krankheiten, die aus dem Bereich von den gynäkologischen Organen kommen, Endometriose oder aber auch normale Verläufe von Schwangerschaft, Stillzeit, Geburt. All das ist sozusagen unter dem Begriff der Frauengesundheit mit beinhaltet. Damit man auch optimal sozusagen die Frauen versorgen kann.

Martin Hoffmann: Jetzt haben Sie gerade Schwangerschaften angesprochen. Welche medizinisch relevanten Besonderheiten ergeben sich denn für Frauen durch Schwangerschaften?

Dr. Alexandra von Au: Also zuerst möchte ich einmal sagen, dass es ganz klar ist, dass eine Schwangerschaft keine Krankheit ist, sondern eine Schwangerschaft selbst ein absolut natürlicher Vorgang und der weibliche Körper da auch sehr gut, sage ich jetzt mal darauf vorbereitet ist. Aber sowohl in der Schwangerschaft gibt es einige ja, sage ich jetzt mal, Tücken und Risiken, die für viele Frauen relevant werden können. Aber auch dann eben nach der Schwangerschaft gibt es Dinge, die mitunter durch die Schwangerschaft ja ein höheres Risiko im weiteren Leben sozusagen ergeben. Kann man so als ein Beispiel mal nennen. Also in der Schwangerschaft selbst können natürlich Erkrankungen, die schwangerschaftsspezifisch sind, auftreten, wie zum Beispiel Bluthochdruck Erkrankungen in der Schwangerschaft. Es gibt aber auch Erkrankungen wie zum Beispiel ein Diabetes, der in der Schwangerschaft auftritt und dann im Rahmen sozusagen dieser Schwangerschaft ein Problem macht und dann für das weitere Leben ein höheres Risiko für einen Altersdiabetes mit sich bringt. Also das sind so Dinge, die letztendlich in der Schwangerschaft für das weitere Leben, für die Frau relevant sein können.

Martin Hoffmann: Geschlechterspezifische Medizin ist jetzt ja noch nicht so lange ein Thema. Aus Ihrer Sicht aus der Gynäkologie: welche Vorteile ergeben sich durch diese Betrachtung? Dass man geschlechterspezifisch jetzt auch schauen kann?

Dr. Alexandra von Au: Also man muss natürlich sagen, das haben Sie ja gerade schon erwähnt viele Studien wirklich zu Medikamenten zu sage ich jetzt mal ja anderen Lebensbelangen vorwiegend an Männern getestet wurden. Das war einfach auch ein bisschen, denke ich, aus der Angst heraus geboren, dass viele Medikamentenhersteller nicht an unerkannt schwangeren Frauen irgendwelche neuen Medikamente testen wollten. Aber das ergibt natürlich daraus für uns die Schwierigkeit, dass für viele Medikamente bei Frauen gar nicht, das sage ich jetzt mal in den Studien optimiert wurde. Bei den Männern wiederum also der Mann, sage ich jetzt mal als standardisierte Norm in der Medizin, da sind dann eben die ganzen Testungen, die Analysen gelaufen und man hat im Prinzip eine optimale Wirkdosis, die man braucht, sozusagen anhand der Studien, auf die man sich auch dann stützen kann. Und das ist bei Frauen halt häufig nicht der Fall. Jetzt muss ich auf der anderen Seite als Gynäkologin natürlich sagen, dass die Studien, die jetzt für mich in meiner Arbeit heutzutage in den meisten Fällen relevant sind, natürlich nur an Frauen getestet worden sind oder mit Frauen gemacht worden sind. Besser gesagt, das heißt, dieses Thema, das die Frauen in der Gynäkologie, in den Studien unterrepräsentiert sind, die gibt es natürlich nicht. Da geht es eher in die andere Richtung, dass wir zum Beispiel bei Männern ja auch Erkrankungen wie zum Beispiel in Mammakarzinom auch mal haben können. Also Brustkrebs bei Mann. Und diese natürlich dann wiederum in den Studien auch wiederum unterrepräsentiert und sozusagen teilweise gar nicht repräsentiert.

Martin Hoffmann: Sie sprechen gerade Brustkrebs bei Männern an. Wie häufig kommt das denn eigentlich vor?

Dr. Alexandra von Au: Das ist tatsächlich sehr selten zum Glück. Also das sind in Deutschland gesprochen, ungefähr 600 Fälle pro Jahr. Also es sind nicht so viele. Macht so circa ein halbes Prozent bis 1 % aller Brustkrebs Erkrankungen aus. Das ist allerdings natürlich trotzdem auch nicht nichts.

Martin Hoffmann: Und Sie haben gerade gesagt für Ihre Patientinnen in der Gynäkologie. Die Studien wurden natürlich dann auch mit Frauen auch gemacht. Wie sieht es denn mit Medikamenten aus, die auch in der Schwangerschaft gegeben werden? Sie haben es gerade gesagt, das ist natürlich erst mal schwierig gewesen. Sind die dann jetzt auch quasi an Frauen getestet oder wie ist das jetzt momentan aktueller Stand?

Dr. Alexandra von Au: Man muss tatsächlich sagen, dass die Medikamente, die wir in der Schwangerschaft standardmäßig einsetzen, sehr gut auch an Frauen und auch insbesondere an Schwangeren erprobt sind. Da gibt es tatsächlich wenige groß angelegte Studien von vornherein. Aber es gibt viele Medikamente, die schon so lange im Handel sind, dass wir wissen, auch mit wirklich guten Daten belegt wissen, dass man die in der Schwangerschaft gefahrlos anwenden kann. Aber tatsächlich gibt es natürlich auch immer wieder Fälle, dass dann eben erst bei neueren Medikamenten sehr lange darauf verzichtet werden muss, diese dann bei Frauen im gebärfähigen Alter sind oder eben in der Schwangerschaft da selbst explizit sind, die dann guten Gewissens anzuwenden.

Martin Hoffmann: Wie hat sich das denn aus Ihrer Erfahrung auf vielleicht auch im Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen, die die Behandlung von Patientinnen auch verbessert, einfach durch Geschlechterspezifische Medizin?

Dr. Alexandra von Au: Naja, man kann im Prinzip schon sagen, dass dadurch, dass wir uns langsam ein bisschen genauer auch darin auskennen, welche Erkrankungen treffen vor allen Dingen Frauen oder Männer? Welche Medikamente wirken bei Frauen vielleicht ein bisschen anders als bei Männern? Dadurch hat sich schon einiges getan die letzten Jahre. Und ich glaube, dass insbesondere auch wichtig ist, dass wir es als Ärzte im Blick haben, dass es uns bewusst ist, dass es vielleicht sein kann, dass bei der Frau jetzt gerade die Symptome eine ganz andere Richtung deuten, als wir es bei einem Mann jetzt typischerweise einschätzen würden. So ein klassisches Beispiel ist ja immer der Herzinfarkt, den man bei Männern typischerweise mit Thorax-Druckschmerzen, die in den linken Arm ausstrahlen, dass das bei den Frauen ganz häufig gar nicht so das klassische Symptom ist und das halt dadurch bedingt leider bei den Frauen häufig später erkannt wird, weil man halt nicht so diese typischen Zeichen, die man im Studium immer, sag ich jetzt mal eingetrichtert kriegt, vorliegen hat. Und ich glaube wie gesagt, das Wichtigste ist, dass man als Arzt das ein bisschen immer auch mit im Blick hat, dass es eben auch anders sein kann, dass man da ein bisschen genauer drauf gucken muss.

Martin Hoffmann: Und was sich in der Recherche auch gemerkt hat. Was ich auch wirklich spannend fand, dass die Nebenwirkungen von Medikamenten auch so wie Sie es gerade sagen, so ein bisschen mit dem Herzinfarkt zum Beispiel, dass sie wirklich sehr auseinandergehen können, dass das komplett unterschiedliche Nebenwirkungen sein können. Wie lässt sich so was erklären?

Dr. Alexandra von Au: So richtig, ganz speziell jetzt in diesem Fall erklären für den Herzinfarkt, muss ich ganz ehrlich sagen, kann ich Ihnen als Gynäkologin nicht.

Martin Hoffmann: Aber gar nicht mal für den Herzinfarkt, sondern ich meine es gerade, was die Medikamente angeht, dass es da so wirklich extreme Unterschiede gibt. Kann das wirklich nur auf den weiblichen Zyklus zurückzuführen sein, oder?

Dr. Alexandra von Au: Also der spielt sicherlich bei vielen Punkten eine Rolle, aber das ist mit Sicherheit nicht das einzige. Wir haben natürlich viele Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Körpergröße, Körpergewicht, dann auch wahrscheinlich andere Nebendiagnosen, die mit reinspielen können. Vielleicht eine andere Begleitmedikation, die mit reinspielen kann und natürlich auch weiblicher Zyklus, die Hormone. Das spielt schon auch eine Rolle. Muss man ganz klar sagen.

Martin Hoffmann: Wie schätzen Sie es denn ein? Gibt es offensichtliche Unterschiede im Verhalten von Männern und Frauen im Hinblick auf medizinische Angebote? Ich hätte da ja eine These, muss ich sagen. Also ich kann mir schon gut vorstellen, dass Männer erst mal deutlich weniger auf solche Angebote reagieren. Sie nicken.

Dr. Alexandra von Au: Ist tatsächlich so. Also Frauen sind, muss man sagen, insgesamt relativ Gesundheitsvorsorge affin. Das merkt man schon. Wir haben in der gynäkologischen Arbeit im Alltag keine Probleme, den Frauen nahezubringen, was sie tun können, um ihre eigene Gesundheit zu optimieren, zu verbessern. Das kommt sogar ganz aktiv immer als Nachfrage: Was kann ich denn noch tun? Womit kann ich denn da in irgendeiner Weise die Therapie unterstützen und ist natürlich indirekter. Die Männer sitzen natürlich sehr häufig nebendran. Die Fragen kommen seltener. Also das ist sicherlich ein Punkt, das Frauen da schon wirklich hat man den Eindruck versuchen wollen viel zu optimieren und auch gesundheitsbewusster diesbezüglich leben.

Martin Hoffmann: Ich hatte auch das war auch in der Vorbereitung dazu gelesen, das ist auch ganz spannend, dass es mit Abschaffung des Wehrdienstes oder auch des Zivildienstes mit der Musterung, sind wirklich viele Männer eigentlich zum letzten Mal, ich sage es mal die ganzen U-Untersuchungen und dann, ich glaube, mit 13, 14 ist dann noch mal eine Untersuchung und dann war ja eigentlich die Musterung noch mal mit 18, 19, noch mal Einschlag quasi, wo man noch mal gecheckt wurde. Da das wegfällt, sind wirklich einige Männer laufen komplett unterm Radar.

Dr. Alexandra von Au: Eigentlich völlig und das ist aber wiederum bei den Frauen sehr selten, weil wir natürlich auch gerade die regelmäßigen Frauenarztbesuche, gerade schon in jungen Jahren. Gerade zum Thema Ich möchte Verhütung noch mal ansprechen, um da sozusagen sich auch regelmäßig beraten zu lassen, vielleicht auch Rezepte verschrieben zu bekommen. Das ist ein häufiger Grund, warum die Frauen regelmäßig zum Frauenarzt gehen. Anderer Punkt natürlich auch die Vorsorge mit Krebsvorsorge-Abstrich, der ja auch regelmäßig gemacht wird. Das heißt, bei den Frauen gibt es da eben schon in sehr jungen Jahren eine regelmäßige Vorstellung beim Arzt. Und das ist natürlich dann etwas, wo man die Frauen immer noch ein bisschen mehr vielleicht auf dem Schirm hat.

Martin Hoffmann: Wobei das bei Männern natürlich auch sehr, sehr wichtig ist und sinnvoll ist gerade die Krebsvorsorge und auch nicht erst ab 40, sondern auch eigentlich ein bisschen früher. Und da es einfach bei vielen Männer ja nicht einfach diese, ich sage jetzt mal, ein regelmäßiges zum Arzt zur Ärztin gehen gibt, ist es natürlich noch mal die Hürde etwas größer, dann auch zu den Vorsorgeuntersuchungen zu gehen.

Dr. Alexandra von Au: Vielleicht, weil es viele auch gar nicht auf dem Schirm haben, ab wann man das starten sollte. Also ich glaube, das ist auch so diese Affinität, sich darüber zu informieren, kommt natürlich auch ein bisschen aus dem, was man schon alles an Informationen erhalten hat. Und das kann natürlich auch sein, dass das dann so ein bisschen wegfällt oder fehlt.

Martin Hoffmann: Wie können Ärzte, wie können Ärztinnen und das Gesundheitssystem besser darauf vorbereitet werden, geschlechterspezifische Unterschiede in der Medizin zu berücksichtigen?

Dr. Alexandra von Au: Na ja, was sicherlich ein großes Thema ist, ist, dass es bis dato immer noch an sehr, sehr wenigen medizinischen Fakultäten richtig gut im Curriculum integriert ist. Also das ist sicherlich was, was man verbessern muss, dass dieses Thema geschlechterspezifische Unterschiede auch wirklich in die Universitäten da einziehen und dass das da auch nicht nur als unter ferner liefen in den einzelnen Fächern mal kurz angerissen wird, sondern dass es wirklich auch thematisiert werden muss, aktiv, dass man da eben die Unterschiede auch beachten muss.

Martin Hoffmann: Aber ganz kurz: wie kann das denn sein? Also warum ist das so? Wir haben 2024, wir haben nicht mehr die 80er Jahre. Das kann doch eigentlich nicht sein. Wir haben 50 % Frauen. Wir haben 50 % Männer. Wie ist das möglich?

Dr. Alexandra von Au: Das ist eine sehr gute Frage. Also es wird da die letzten Jahre schon sehr dran gearbeitet. Ich glaube, das ist ein Thema, haben sie ja selber gesagt, noch ein sehr junges Thema insgesamt und ich glaube, dass da die letzten vier, fünf Jahre auch sehr, sehr viel passiert ist. Da wird auch dran gearbeitet, dass das eben in die einzelnen Curricula integriert wird. Aber die Mühlen mahlen langsam, das muss halt einfach erst jetzt schrittweise passieren und so schnell kann man die ganzen Sachen nicht umkrempeln. Und ich denke, wir machen das sicherlich, so kann ich auch von mir hier sprechen, in der Uniklinik schon so, dass wir die Themen auch an unsere Studenten weitergeben, dass wir das auch in den Vorlesungen rüberbringen. Klar, da tue ich mir als Gynäkologin natürlich leicht, das zu betonen, aber das ist zumindest mal was, was ich schon als unseren Auftrag sehe, da ein bisschen das Bewusstsein dafür zu schaffen bei den neuen angehenden Ärzten. Und ich denke, dass das auch ganz viel jetzt in den nächsten Jahren kommen wird.

Martin Hoffmann: Stichwort Gesundheitskompetenz: Was können Frauen selbst noch mal für sich selbst tun, um in der Richtung noch mal kompetenter zu werden?

Dr. Alexandra von Au: Gut, im Endeffekt macht es natürlich Sinn zum einen die die entsprechenden Nachsorge-, Vorsorgeangebote, die man kriegt, auch wahrzunehmen und dass man zum anderen auch natürlich sich selber informiert. Jetzt ist es wichtig, dass man nicht einfach nur googelt, weil da findet man leider viel zu viel auch an falschen Informationen, sondern dass man sich auf die richtigen Seiten, sag ich jetzt mal, begibt im Internet. Und da gibt es eigentlich ganz gute Seiten, auch zum Beispiel von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung oder bei den einzelnen Krankenkassen. Da gibt es eigentlich immer schon auch ganz gute Angebote, wo man sich informieren kann, Was macht denn überhaupt Sinn? Was kann ich tun? Was sollte ich sogar tun und was es dann vielleicht auch nicht zwingend nötig? Und da denke ich, hat auch der Hausarzt eine ganz zentrale Funktion, der dann auch wirklich, da die Menschen durch das System ein bisschen lotsen sollte, um da eben auch zu gucken, dass weder zu viel noch zu wenig gemacht wird.

Martin Hoffmann: Wie könnte man diese Gesundheitskompetenz bei Männern noch mal stärken?

Dr. Alexandra von Au: Sicherlich auf dem gleichen Weg. Also da bin ich mir ganz sicher, dass das über die Hausärzte eigentlich im Normalfall sehr, sehr gut angebracht werden kann. Gut, wenn die Hausärzte nicht besucht werden, in keinster Art und Weise kann man sich sicherlich auch überlegen, es gibt denke ich auch gute Optionen, da wird ja auch jetzt wieder von den Krankenkassen ganz viel gemacht, die kriegen ja auch regelmäßig Informationsbroschüren über die Vorsorgeuntersuchungen. Eigentlich hat man den Eindruck, man muss nur hingucken.

Martin Hoffmann: Ich habe da auch die Erfahrung gemacht, das wirklich auch im Freundeskreis, dass das wirklich auch eine große Geschichte ist, also dass man da wirklich auch einfach drüber reden kann. Und wenn da so ein bisschen das Tabu mal gebrochen ist, dass man sagt, na ja, also Prostatakrebs, Darmkrebs, das sind alles Sachen, die sollte man mal checken lassen, wenn man da mal offen darüber spricht, dann hilft das auch schon so ein bisschen. Sie verfolgen mit einem Forschungsprojekt zusammen mit der Uni Tübingen, Uni Heidelberg, zusammen mit der AOK. Gerade in diesem Bereich wird geforscht. Was sind denn gerade so die wichtigsten Erkenntnisse, die Sie aus dem Projekt jetzt schon rausziehen können?

Dr. Alexandra von Au: Also wir haben verschiedene Projekte, die wir quasi im Rahmen von diesem Präventionsprojekt mit der AOK Baden-Württemberg machen. Das eine, was natürlich auch von gynäkologischer Seite uns sehr interessiert, ist die Untersuchung, wie auch jetzt wieder diese Schwangerschafts-Bluthochdruckerkrankungen sich auf das weitere Leben bei den Frauen auswirken. Und da haben wir tatsächlich auch schon etliche Erkenntnisse gewonnen in den letzten Jahren, dass die Frauen eben mit den erhöhten Blutdruckwerten in der Schwangerschaft, die eventuell auch dann eine Bluthochdruckerkrankung, die sich zu einer sogenannten Präeklampsie dann eskaliert in der Schwangerschaft, dass die tatsächlich im weiteren Verlauf ein erhöhtes Risiko haben für kardiovaskuläre Erkrankungen, also Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich erhöhtes Risiko haben für Nierenerkrankungen im weiteren Verlauf ihres Lebens oder aber auch für Zerebrovaskuläre Erkrankungen, also im Prinzip, dass die Gefäße auch im Gehirn da Veränderungen zeigen können. Also allgemein gesprochen zeigt uns, dass man diese Frauen, die in der Schwangerschaft so eine Schwangerschafts-Bluthochdruckerkrankung wie eine Präeklampsie haben, dass man die die nächsten Jahre gut screenen muss auf ein eventuell frühzeitiges Auftreten von Spätfolgen von eben so einer Erkrankung in der Schwangerschaft. Das ist etwas, wo wir jetzt gerade dran arbeiten, dass das mehr in den Arbeitsalltag sozusagen auch von den Hausärzten mit aufgenommen wird, dass man da diese Frauen auch wirklich gut nachsorgen muss. Wir haben ein zweites großes Themengebiet, das wir aktuell in den Rahmen von diesem Projekt untersuchen. Das ist das Auftreten von psychischen Erkrankungen bei Mammakarzinom, also Brustkrebs-Patientinnen. Jetzt in diesem Forschungsprojekt speziell schauen wir uns an, wie ist das Auftreten in Abhängigkeit von einer Brustkrebsdiagnose? Von einer psychischen Erkrankung unterschiedlichen psychischen Erkrankungen. Und da sehen wir tatsächlich jetzt in den ersten Analysen, die sind bisher noch nicht publiziert, aber das sind wir jetzt in der sozusagen Datenauswertungsphase am Ende, dass eben die Patienten tatsächlich nach einer Brustkrebsdiagnose auch deutlich häufiger an psychischen Erkrankungen leiden als Patientinnen ohne Krebsdiagnose. Und das ist für uns auch etwas, was wir in Richtung für die Weiterbehandlung von diesen Frauen eben im Fokus haben, dass man sehr viel mehr darauf achten muss: Wie ist die Psyche bei den Frauen nach so einer Krebsdiagnose? Gibt es da irgendwas, was man ihnen mit an die Hand geben kann, um eben die ja sage ich mal, die Lebensqualität nach dieser Diagnose dann auch eben zu verbessern.

Martin Hoffmann: Haben sich jetzt aus den ersten Ergebnissen noch mal so, ich sage jetzt mal weitere Themenfelder ergeben, wo Sie sagen, na ja, da lohnt sich es auf jeden Fall, da noch mal genaueren Blick darauf zu werfen.

Dr. Alexandra von Au: Ganz, ganz viele. Also das muss man tatsächlich sagen. Das sind jetzt auch nur zwei von den Themen, die wir im Rahmen von diesem Projekt bearbeiten. Es gibt noch mal Analysen zu Patientinnen in der Schwangerschaft, wo wir uns auch noch mal die psychischen Erkrankungen angucken und da eben, das hat sich jetzt auch aus diesem Projekt noch mit ergeben, wir haben ein Subprojekt zur Endometriose, das auch noch mal da genauer untersucht, wie die Frauen sozusagen wie das mit der Diagnostik und allem läuft. Also da gibt es etliche Punkte, die wir jetzt gerade im Moment noch angehen, die noch nicht spruchreif fertig sind, dass man die Ergebnisse schon nennen könnte.

Martin Hoffmann: Wagen wir mal, ich sage jetzt mal ein Blick in die Zukunft. Vielleicht hätten Sie so eine Tendenz, dass Männer und Frauen, also ich rede das einfach vom biologischen Geschlecht, dass wir da auf ein Gleichgewicht kommen. Was die Betrachtung in der Medizin angeht.

Dr. Alexandra von Au: Das ist eine schwierige Frage. Also ich denke, dass das Bewusstsein jetzt in den letzten 5 bis 10 Jahren wirklich deutlich gewachsen ist, um nicht zu sagen, man hat das jetzt auf dem Schirm. Man weiß jetzt, dass da wirklich Unterschiede sind und dass man die entsprechend auch berücksichtigen muss in der Medizin. Und ich könnte mir schon vorstellen und hoffe auch, dass das so ist, dass wir in den nächsten zehn Jahren, sage ich jetzt mal, wirklich an dem Punkt sind, dass wir gute Aussagen treffen können, spezifisch für die unterschiedlichen Erkrankungen, sowohl für die Frauen als auch für die Männer bei den Erkrankungen, die beide betreffen. Und dass wir natürlich auch noch mal bei den Erkrankungen, die jeweils nur das eine Geschlecht betreffen, dann auch die Versorgung, da ein bisschen mehr noch mit dem Blick der geschlechterspezifischen Probleme, die man vielleicht mit sich bringt, die dann eben da noch optimieren zu können.

Martin Hoffmann: Alexandra von Au, vielen, vielen Dank! Geschlechtsspezifische Medizin. Das hat sich seit den 80ern wirklich einiges getan. Man muss aber auch ehrlicherweise sagen Es liegt noch ein langer Weg vor uns. Was positiv ist: Es kommt eine neue Generation von Medizinerinnen und Medizinern nach, und die werden genau das einfordern. Das heißt, in diesem Fachbereich wird sich in den nächsten Jahren einiges tun. Wenn ihr gerne mehr über das Thema Geschlechtsspezifische Medizin wissen möchtet, dann kann ich euch unsere Shownotes empfehlen. Schaut hier mal rein. Hier gibt es viele Links und weitergehende Informationen. Und natürlich lohnt sich auch ein Blick auf unseren Instagramkanal @gesundnah. Hier könnt ihr Fragen, Anregungen, Themenvorschläge an uns schicken. Und wir freuen uns natürlich auch über Bewertungen und Kommentare von eurer Seite. Wir freuen uns auch, wenn ihr das nächste Mal wieder dabei seid. Ich bin Martin Hoffmann.

Martin Hoffmann: Wir hören uns. GESUNDNAH – der Gesundheitspodcast der AOK Baden-Württemberg.

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